„Wir müssen einen kleinen Neuanfang wagen: Himar Ojeda im großen Offseason-Interview
5.7.2023 um 11:39 von
Author: murcs
Himar Ojeda verbringt seinen Sommer nicht im Freibad, sondern am Telefon, auf Reisen und in Basketballhallen bei Turnieren rund um den Globus. Auf der Suche nach dem richtigen Kadermix aus Kontinuität und frischem Wind steht der ALBA-Sportdirektor in diesem Jahr vor großen Herausforderungen. Eine gute Gelegenheit also, um das Mastermind hinter der Personalplanung bei ALBA zum Stand der Dinge zu befragen.
Einerseits die meisten BBL-Hauptrundensiege der Vereinsgeschichte und einige Statement-Erfolge in der EuroLeague, aber auch das Playoff-Aus im Viertelfinale und zwölf Niederlagen in Folge auf internationaler Bühne: Himar, wie ordnest du die Saison im Nachhinein ein?
In der EuroLeague haben wir es geschafft, uns von der Niederlagenserie zu erholen und hatten am Ende nur einen Sieg weniger als in vergangenen Jahren. Insofern haben wir uns ganz ordentlich geschlagen, vor allem wenn man bedenkt, dass das vom Leistungsniveau her die vielleicht beste EuroLeague jemals war. Teams wie Mailand oder Efes hatten das Talent, die Erfahrung und die nötigen Ressourcen -- dennoch haben sie die Playoffs verpasst.
In der BBL haben wir eine unfassbar starke Hauptrunde gespielt, sind dann aber im Viertelfinale ausgeschieden. Es ist uns nicht gelungen, zu den Playoffs unsere Höchstform zu erreichen. Einer der Hauptgründe dafür liegt in dem unglücklichen Zeitpunkt von Verletzungen. Aber auch das Momentum war nicht auf unserer Seite. Im Gegensatz dazu sind wir dann im Viertelfinale auf einen Gegner getroffen, der pünktlich zu den Playoffs auf dem Toplevel war. Ulm hat am Ende die drei besten Mannschaften der Hauptrunde geschlagen und absolut verdient den Titel gewonnen.
Wie fällt dein Fazit aus?
Insgesamt betrachtet hatten wir viele gute Phasen. Wir sind unseren Prinzipien treu geblieben und hatten als einziges EuroLeague-Team keinen Transfer während der Saison. Wir haben Basketball gespielt, wie wir ihn uns wünschen. Natürlich hätten wir gern wieder um den BBL-Titel mitgespielt, aber so war es in dieser Saison nun mal. Es ist schwer, im Sportbusiness konstant erfolgreich zu sein, weil alles ständig im Wandel ist. Genau darin liegt aber auch der ständige Reiz: Es gibt keine Garantien.
Wie schnell bist du nach dem Saisonaus zur Planung für die neue Spielzeit übergegangen?
Die Vorbereitungen für das nächste Jahr haben bereits vor einiger Zeit begonnen. Selbst wenn wir noch spielen, bewegt sich im Hintergrund schon einiges. Die Kaderplanungen haben bereits nach dem Ende der DBBL-Saison im April begonnen. Nach dem Saisonende werden dann natürlich die Agenturen der Spieler:innen aktiver und kontaktieren uns, um uns jemanden anzubieten oder um über mögliche Optionen zu sprechen.
Wie sehen jetzt die kommenden Wochen aus bei dir?
Dieser Sommer wird lang für mich. Einerseits ist der Transfermarkt, vor allem für die EuroLeague, nur langsam in Fahrt gekommen. Andererseits müssen wir diesen Sommer sowieso mit Geduld angehen. Wir haben viele Spieler, deren Verträge auslaufen und die nun verschiedene Optionen haben. Wir sind als Club noch nicht in der Lage, mit anderen EuroLeague-Teams um Spieler zu konkurrieren. Deswegen müssen wir geduldig bleiben und im Zweifelsfall erst am Ende des Sommers Kaderentscheidungen fällen.
Wie schwer ist es dabei, den richtigen Mix aus Kontinuität und neuen Impulsen zu finden?
Durch die vielen auslaufenden Verträge ist es in diesem Jahr nicht einfach, den Kader zusammenzuhalten. Gleichzeitig gibt uns das auch die Möglichkeit, neue Spieler zu verpflichten und frischen Wind reinzubringen. Das birgt immer ein Risiko, weil viele unserer Neuverpflichtungen wenig bis gar keine EuroLeague-Erfahrung haben. Deswegen braucht es immer eine Übergangsphase, eine Art Neuaufbau. Ich mag solche Situationen aber, weil das ein natürlicher Prozess ist, den jedes Team irgendwann durchlebt. Viele Clubs erneuern ihren Kader alle zwei Jahre, dahingehend haben wir zuletzt schon einen anderen Weg mit mehr Kontinuität eingeschlagen. Nun müssen wir in diesem Sommer mal etwas mehr ändern und einen kleinen Neuanfang wagen.
Ist die Verpflichtung von Žiga Samar, der nach einem Jahr Leihe jetzt zum Team stößt, so eine neue Chance?
Ja, definitiv! Žiga passt zu unserer Philosophie und ist ein starker Spieler mit viel Energie. Er will gewinnen und arbeitet hart an sich, um besser zu werden. Ihm hat die Leihe nach Hamburg sehr gutgetan. Sowohl physisch als auch mental war es wichtig für ihn, zwei Spiele pro Woche zu spielen. Es ist toll zu sehen, wie sehr er sich auf die neue Saison mit uns freut. Unsere Aufgabe ist es, ihn nun auf das Niveau der EuroLeague vorzubereiten.
Wie wichtig war es, den Vertrag von Jonas Mattisseck um drei weitere Jahre zu verlängern?
Sehr wichtig! Jonas repräsentiert unsere Werte wie kaum ein anderer. Deswegen freuen wir uns sehr, weiter mit Jonas an seiner Entwicklung zu einem Topspieler arbeiten zu können. Im Gegenzug wird er uns weiter dabei helfen, in der BBL und der EuroLeague auf dem höchsten Level zu spielen.
Was sind die wichtigsten Qualitäten, die du bei einem Neuzugang suchst?
Das gesamte Profil muss gut zu uns passen. Es fließt viel Arbeit in die Auswahl der richtigen Charaktere. Ich will die passenden Menschen finden. Potenzielle Neuzugänge müssen außerdem zu unserem Spielstil passen und kreativ mit den Freiheiten in unserem System umgehen können. Das kann zum Beispiel jemand sein, der bereit ist, den nächsten Schritt in der EuroLeague zu gehen.
Wie beziehst du die Coaches bei der Kaderplanung mit ein?
Wenn ich Spieler scoute, arbeite ich eng mit unseren Individualcoaches Carlos Frade und Emanuele Berti zusammen. Manchmal hole ich auch die Assistenztrainer mit rein. Die Gesamtstruktur des Kaders bespreche ich immer wieder mit Israel González. Mit neuen Ideen und Vorstellungen trete ich auch an Marco Baldi heran, dessen Meinung und Feedback ich sehr schätze. Bei der Kaderplanung der Frauen spreche ich viel mit Cristo Cabrera, Carlos Frade und Raúl Rodríguez.
Was ist das große Ziel für die nächste Saison?
Das hängt natürlich davon ab, wie sich unser Kader für die nächste Spielzeit zusammensetzt. Unsere Ziele sind aber grundsätzlich immer die gleichen: Die neuen Spieler integrieren, wettbewerbsfähig sein und uns als Team weiterentwickeln. Perfekte Beispiele dafür sind die Werdegänge von Jonas, Malte, Louis und Tamir in den vergangenen Jahren. Mit dem Frauenteam möchten wir wieder auf dem gleichen Niveau angreifen. Und im Jugendbereich wollen wir die Entwicklung unserer Talente erfolgreich gestalten -- so wie in der vergangenen Saison.
Welchen Stellenwert hat aktuell die Durchlässigkeit aus der Jugend in den Profikader?
Zuerst einmal brauchen wir einen Platz im Kader, in den ein neuer Spieler stoßen kann. Im letzten Jahr haben wir außer Oscar da Silva niemanden abgegeben, Yanni Wetzell und Gabriele Procida kamen dazu. Was uns bei der Entwicklung unserer jungen Spieler wirklich geschadet hat, ist die Pandemie: Das Profiteam konnte nur noch alleine trainieren. An dieser Stelle haben wir etwas Zeit verloren, die jetzt erst wieder aufgeholt wird. Gleichzeitig haben sich unsere Anforderungen aber auch geändert. Jeder, der einen festen Kaderplatz hat, muss nicht nur auf BBL-, sondern auch auf EuroLeague-Niveau spielen können.
Die erste DBBL-Saison war ein riesiger Erfolg: Das Team hat sensationell das Playoff-Halbfinale und Platz vier erreicht, die Stimmung in der Sömmeringhalle war bombastisch. Hat das deine Perspektive auf das DBBL-Team verändert?
Es war eine großartige Saison. Die Entwicklung dieses Teams hat den ganzen Club stolz gemacht. Alles hat mit der Entscheidung begonnen, aus den kleinen Max-Schmeling-Nebenhallen in die Sömmeringhalle umzuziehen. Vor allem zu Beginn der Saison haben wir hart daran gearbeitet, die Fans zu unseren Spielen zu bekommen. Am Ende kamen die Leute dann von selbst und die Halle war voll. Auch das Team selbst hat sich im Laufe der Saison immer weiterentwickelt und die großartige Stimmung mitgetragen. Wir haben zu Beginn der Saison mit unserem Kader nicht zu den besten vier Teams der Liga gehört, das haben die Spielerinnen und Coaches aber mit harter Arbeit ausgeglichen. So ist der großartige Teamgeist entstanden, der es ermöglicht hat, sämtliche Erwartungen zu übertreffen. Für alle Beteiligten war es einmalig, Teil so vieler besonderer Momente gewesen zu sein.
Spürst du nach dieser Saison mehr Druck für die kommende Spielzeit?
Auf keinen Fall. Im Sport gibt es Höhen und Tiefen, das ist ganz natürlich. Vielleicht stehen wir nächstes Jahr nicht im Halbfinale. Ich bin aber überzeugt davon, dass sich das Team weiterentwickeln wird. Wir haben den Kern des Teams zusammengehalten und den Kader gezielt ergänzt. Und die Spielerinnen werden weiter hart an sich arbeiten.
Wie unterscheidet sich das Scouting beim DBBL-Team im Vergleich zu den Männern?
Der Prozess beginnt deutlich früher. Insgesamt ist es ein anderes System, teilweise werden Verhandlungen mit den Spielerinnen selbst und ohne Agenten geführt. Das Ziel ist dabei aber das gleiche: Spielerinnen finden, die gut zu unserer Philosophie passen.
Wohin kann es perspektivisch gehen?
Unser großer Traum ist es, Frauenbasketball als Profisport in Berlin zu etablieren. Damit das geschieht, muss sich auch in der Gesellschaft etwas bewegen. Je mehr Fans zu unseren Spielen kommen und je mehr Sponsoren uns unterstützen, desto näher kommen wir diesem Ziel.
Kann die mediale Aufmerksamkeit rund um die erfolgreiche EM der deutschen Frauen dabei helfen?
Absolut. Wenn etwas für die breite Öffentlichkeit nicht sichtbar ist, kann man mögliche Unterstützer:innen gar nicht erreichen. Deswegen war es schön, das deutsche Team bei der EM zu sehen. Die Spiele waren sehr unterhaltsam, spannend und emotional. Das hilft. Gleichzeitig ist es aber auch an der Zeit, Worten Taten folgen zu lassen. Wenn jemand Spaß daran hatte, die EuroBasket zu verfolgen, sollte der nächste Schritt sein, zu einem DBBL-Spiel zu gehen. Egal ob in Berlin, Marburg, Osnabrück oder irgendwo anders. Das würde die Sichtbarkeit definitiv erhöhen.
Pressemitteilung: ALBA Berlin