Kader Gießen 46ers 19/20
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Und Trier kam - zum letzten Mal überhaupt - in die Playoffs. Mit “eurem” Coach Joe Whelton und BJ McKie, die zur Saison 03/04 von Gießen an die Mosel kamen.
Danke deissler für die Erinnerungen. Auch für einen Nicht-Gießener sehr schön zu lesen! -
2010/2011: From Hero to Zero oder: Peacock Go Dachcafé
Symbol für den vermeintlichen Frühlingsaufwind an der Lahn ist die Tatsache, dass Ovcina langfristig gebunden werden kann. Mit Giorgi Gamqredlidze kommt einer der besten Vorlagengeber der Vorsaison. Anthony Smith und Ryan Brooks beleben den Backcourt, auf der Vier wird Ovcina der Rohdiamant Zachery Peacock beiseitegestellt. Jannik Freese, Mathias „Matze“ Perl und Tim Schwartz bilden die Nachwuchsachse des Bogojevic-Teams: eine verheißungsvolle Lineup, bei der die Fans nach den Erfahrungen der Vorjahre zunächst dennoch skeptisch bleiben.Die vorangegangenen Spielzeiten boten einen fast austauschbaren Plot: Gießen verliert viel. Finanzprobleme tun sich am Firmament auf - oder das Team wird von einer Verletzungsmisere gebeutelt. Im aristotelischen Theater spricht man von der Steigerung. Auf der Trainerbank und/oder im Team wird nachgebessert: ein retardierendes Moment, das in der Rettung oder der Katastrophe kulminiert.
Die Saison 2010/2011 pfeift – aus 46ers-Sicht – auf Aristoteles.
Am 2. Oktober findet das erste Match statt: Heimspiel gegen Bonn. Ich habe selbst ein Basketball-Spiel in der Kreisliga. Wir nehmen die Partie (Sport1 überträgt) auf und schauen sie nachträglich gemeinsam im Wohnzimmer des Coaches. Nur einer kennt da bereits das Ergebnis. Er hält dicht, schwärmt aber von Peacocks exquisiter Freiwurftechnik. Butterweich lässt der Ami die Murmel fliegen, als greife seine rechte Hand in eine auf dem Schrank stehenden Keksdose. 21 Punkte – davon 9 an der Linie – und 6 Rebounds holt Peacock. Ovcina tut sich als Passgeber hervor, Smith treibt Bonn mit seinen Penetrations zur Verzweiflung. Gießen siegt mit 75:70 – und es bleibt kein Strohfeuer.
Der 46ers-Flow wird zum Flächenbrand. Ludwigsburg wird aus der eigenen Halle geschossen, Brooks schenkt den Barockstädtern alleine 24 Punkte beim 64:58 der Mittelhessen ein. Bayreuth ist Opfer Nummer drei der wie befreit wirkenden Gießener, gegen bis dato ungeschlagene Oldenburger hält das Team bis zuletzt mit. 88:81 bezwingt man Ulm, gegen Bamberg dreht man das Spiel nach hohem Rückstand vor dem Schlussviertel, das mit 25:8 an Gießen geht. Eine Minute mehr, und die 46ers hätten gewonnen. Nach einem weiteren Auswärtssieg über Düsseldorf festigt der BBL-Dino trotzdem seinen Platz im Spitzendrittel der Tabelle. Basketball-Hessen eifert dem Derby entgegen. Es ist das Spitzenspiel des Spieltags, Frankfurt wird die Saison auf dem zweiten Rang beenden.
Gießen indes hat Anfang November fünf Siege auf der Habenseite. Im gesamten verfluchten Rest der Spielzeit werden lausige vier Punktgewinne dazu kommen. Die 64:82-Demontur in Frankfurt legt den Grundstein für eine selbst für mittelhessische Verhältnisse beispiellose Talfahrt. Allerdings verletzt sich mit Smith ein Leistungsträger in der Frühphase des Spiels.
Dreizehn Niederlagen hagelt es bis Ende Januar. In Folge. Anfangs schieben die Fans die Erfolglosigkeit auf den taffen Spielplan der 46ers. Fast immer wird knapp verloren, selbst Alba muss lange zittern. Im Dezember verliert man auswärts gegen Trier, Tübingen und den MBC. Der Druck gegen Hagen am 2. Januar 2011 ist überlebensgroß. Die Feuervögel zerdrücken ermattete Gießener mit 92:76: ein Schlag ins Gesicht. Für Ärger hinter der Bühne sorgen Peacock und Smith, die sich auf Facebook verächtlich über die Kleinstadt ohne Nachtleben äußern. Zugegeben, bei einer Sieges- statt einer Niederlageserie hätten die Einheimischen darüber vielleicht schmunzeln können. So aber gilt: Über Gießen dürfen nur Gießener Witze reißen. Credo des Videos: Hier ist nichts los, kommt bloß nicht nach. Das Scharmützel hält Coach Bogojevic vorerst aus der Schusslinie. Es bedarf zweier weiterer Klatschen gegen Bonn und Ludwigsburg, bevor der Coach mit Stallgeruch gegen Steven Key ausgetauscht wird. Parallel diskutieren sich die Fans über die offenkundige Bocklosigkeit einiger Akteure auf dem Parkett die Köpfe heiß.
Die Stimmung in und außerhalb der Halle kühlt auf ein Maß ab, wie man es an der Lahn in all den schwachen Vorjahren nicht kannte. Schönen-Dunk-User JackReacher fragt im April, woher die garstige Laune der 46ers-Anhänger rühre. Ich erkläre mit Verweis auf diverses Gemunkel, das sich um die Nachtaktivitäten einiger Spieler rankt: „Ich möchte die vielen Gerüchte hier nicht thematisieren, da Gehört-Gesagtes so gut wie nie den Tatsachen entspricht, in der Masse jedoch ein paar Fünkchen Wahrheit besitzen muss. Indiz dafür wäre zum einen der Umstand, dass auch in den letzten Jahren kein Blumentopf gewonnen und trotzdem das Feuer nie gegen die Mannschaft gerichtet wurde. Limitierte Spieler von Rouse bis Umeh wurden bis zum Umfallen supportet, eine derartige Stimmung ist gewissermaßen Gießen-untypisch.“
Doch ich greife vor. Nach dem Trainerwechsel senden die 46ers ein Lebenszeichen. In Bayreuth wird die Mannschaft trotz allem von 100 Gießener Fans unterstützt, die vor dem Match eine Choreo zünden (Quelle:
). Dieses Mal sind es übrigens die 46ers, die während der Saison Michael Jordan nachverpflichten. Er führt seine Farben erst zum Sieg, dann in den Bayreuther Auswärtsblock. (Quelle: https://www.easycredit-bbl.de/de/n/newsarchiv/2011/erloest–46ers-beenden-negativserie/)Das Tuch zwischen Fans und Spielern scheint gekittet. Gegen Oldenburg scheitet man äußerst knapp. Ausgerechnet Lou Campbell ist bester Mann der Donnervögel. Eine hohe Niederlage in Ulm schüttelt die Mannschaft aus dem Gefieder und bezwingt Düsseldorf – den schlussendlichen Tabellenletzten – deutlich. Tabellarisch ein wichtiger Sieg, allein die Stimmung bleibt unterkühlt. Bamberg hält die Gießener wenige Tage später zu Hause bei 47 Punkten. Anfang März folgt der Charaktertest gegen Frankfurt. Er wird mit einem „nicht bestanden“ auf dem Zeugnis enden.
Die 46ers scheitern krachend mit 62:81, bereits vor dem Schlussviertel ist die Partie entschieden. Eine Woche später gegen Tübingen – es ist erneut ein Heimspiel – werden auf der Stehtribüne hunderte „Shame on you“-Zettel verteilt und hochgehalten. In Anlehnung an den ebenfalls limitierten, aber stets mit vollem Einsatz spielenden Ex-Gießener Seamus Boxley bastle ich mein eigenes DIN-A4: SEAMUS ON YOU.
Die nächtlichen Eskapaden des ungeliebten US-Power Forwards sorgen ebenfalls für Proteste. Das Banner „Freese go hard, Peacock go Dachcafé“ wird aufgehängt (Quelle: https://www.imago-images.de/search?suchtext=Dachcafe, fünfte Reihe). Freese rutscht in die Startformation und wird zum Matchwinner (Quelle: https://www.giessener-allgemeine.de/sport/lokalsport/freese-matchwinner-46ers-wiedergutmachung-12079616.html). Von der stark dezimierten Kulisse gibt es vereinzelte Buhrufe. Der Stachel der Enttäuschung sitzt sehr tief – und lässt sich auch durch den 82:64-Erfolg über Tübingen nicht ziehen.
Trotz enttäuschender Leistungen im weiteren Saisonverlauf halten die 46ers schließlich die Klasse. Im Kellerduell gegen den MBC am vorletzten Spieltag verspielen die Hausherren eine hohe Führung, mit der der gewonnene direkte Vergleich und die Vorentscheidung im Abstiegskampf einhergegangen wäre. Es entbehrt dabei nicht einer gewissen Ironie, dass ausgerechnet der viel gescholtene Peacock mit 22 Punkten (70% aus dem Feld) und 15 Rebounds (davon 9 am offensiven Brett) mehr als überzeugt. Da es „nur“ 81:71 ausgeht, kommt es am letzten Spieltag zum Fernduell mit Bayreuth und Weißenfels. Trotz finaler Schlappe in Hagen profitieren die 46ers von den Ergebnissen der Mitkonkurrenten – und sehen ihrer nächsten Spielzeit im Oberhaus entgegen.
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Autor: schmock
RADIus bis zur Mittellinie:
Kennst du noch… Radisa „Radi“ Zdravković?Verweildauer bei den 46ers: Saison 1999-2002
Vereine vor seiner Verpflichtung: Bielefeld, Hannover, Wörthersee Piraten, Oldenburger TB
Spiele für Gießen: 83
Punkte (gesamt): 302 (3,7 pro Partie)Kontext: Die Ende des letzten Jahrtausends noch unter ihrem traditionellen Namen MTV 1846 Gießen firmierenden Korbjäger von der Lahn waren damals eine mehr als solide Bundesligamannschaft, die regelmäßig an den Playoffs kratzte und diese auch manches Mal erreichte. Auch im Pokal trumpften die Gießener auf und standen 1997 (in der eigenen Osthalle) und 1999 jeweils im Finale, unterlagen jedoch beide Male gegen Berlin. Vor der Saison 1999/2000 bastelten sich die Gießener Macher um den neuen Trainer Joe Whelton eine grundsolide Mannschaft zusammen, in der Radisa Zdravkovic die Rolle des Back-Up Aufbauspielers einnehmen sollte hinter Publikumsliebling Scooter Barry. Historisch war diese Spielzeit zudem deshalb, da mit Lich, Frankfurt und Gießen drei hessische Teams die Klingen kreuzten.
Wer war Zdravkovic? Zdravkovic war ein fröhlicher Zeitgenosse, der sich seiner Back-Up Rolle voll bewusst war und diese mit viel Leidenschaft und Einsatzbereitschaft ausfüllte. Basketballerisch beherrschte er nicht die allerfeinste Klinge, aber er war bereit, immer alles auf dem Feld zu lassen. Zusammen mit seiner spitzbübischen Art liebte ihn das Osthallenpublikum dafür und verzieh seinem „Radi“ so manches spielerisches Malheur. Von diesen gab es jedoch keine im Übermaß, denn der Basketballer mit serbischen Wurzeln veranstaltete keine Harakiri-Aktionen auf dem Feld, sondern besann sich auf die Dinge, die in seinem Fähigkeitsbereich lagen. Dadurch bedingt leistete er sich wenige Turnover und man brauchte sich um die Stabilität des Gießener Spiels keine Sorgen machen, wenn „Radi“ das Spielfeld betrat. Seine größte Schwäche war vor allem der Wurf aus der Distanz und auch von der Freiwurflinie präsentierte er sich alles andere als sicher. Insgesamt blieb Zdravkovic drei Jahre an der Lahn, in denen die Gießener jeweils die Playoffs erreichten und dabei 2001 bis ins Halbfinale kamen. In allen Saisons bekam Zdravkovic beständig zweistellige Einsatzminuten von Coach Whelton zugesprochen und rechtfertigte dies mit grundsoliden Vorstellungen. Durch seine verhältnismäßig lange Verweildauer entwickelte sich der Playmaker zu einem echten Sympathieträger. Dabei sind den Osthallenbesuchern, die damals schon regelmäßig den Weg in Gießens „Gudd Stubb“ fanden, insbesondere zwei Aktionen von Zdravkovic in Erinnerung geblieben. In der Saison 2001/2002 dominierten die Gießener ihr Heimspiel gegen Würzburg und hatten die 100 Punkte bereits erreicht. Im Gegensatz zum heute leider üblich gewordenen herunterlaufen lassen der letzten Spielsekunden dauerte ein Spiel damals wirklich noch 40 Minuten. So bekamen die Hausherren wenige Sekunden vor dem Ende noch einmal das Spielgerät. Zdravkovic nutzte diese Gelegenheit und warf einfach mal von der Mittellinie in Richtung Würzburger Korb. Das ohnehin schon berauschte Osthallenpublikum verfolgte den Wurf von “Radi“, der beileibe kein geborener Schütze war, und geriet vollkommen in Ekstase, als dieser zunächst das Brett und dann den Würzburger Korb traf. Die zweite Szene kann man getrost als sinnbildlich für die Zeit des gebürtigen Bielefelders in Gießen bezeichnen. Vor den live übertragenden Kameras des DSF (damals ein absolutes Highlight für Gießen) lag das Aufbauspiel der Mittelhessen am Bonner Hardtberg in Radis Händen, da sich der etatmäßige Aufbauspieler Tim Gill, nach einigen Galavorstellungen zu Saisonbeginn, den Mittelfuß gebrochen hatte. Mit leichtem Unbehagen verfolgten die Gießener Fans die Partie und waren gespannt, was Zdravkovic in der ungewohnten Rolle als erster Aufbauspieler liefern würde. Zunächst schienen sich die schlimmsten Befürchtungen zu bewahrheiten. Relativ zu Beginn des Spiels leistet sich Zdravkovic einen Airball von der Freiwurflinie. Doch wer befürchtete, dass ihn das für den Rest der Begegnung aus dem Konzept bringen würde, sah sich getäuscht. 37 Minuten stand Zdravkovic auf dem Feld, legte mit Terrence Rencher einen der besten Point Guards der damaligen Zeit an die Kette und besann sich offensiv auf seine Stärken des bedachten Ballvortrags. Am Ende eines echten Abnutzungskampfs hatte „Radi“ sein Team zum umjubelten 65:62-Auswärtssieg geführt.
Wie die Geschichte ausging: Nach drei erfolgreichen Jahren in Gießen spielte Zdravkovic noch bis 2008 für Würzburg, Bamberg und Ludwigsburg in der Bundesliga, ohne jedoch nachhaltiger in Erscheinung zu treten. Belohnt für seine stets tadellose Arbeitseinstellung wurde Zdravkovic 2004, als er mit Bamberg die deutsche Meisterschaft feiern konnte. Zwar bekam er damals als Spieler am Ende der Rotation nur wenig Einsatzzeit, doch der ein oder andere in Gießen dürfte sich mit ihm über diesen Triumph gefreut haben. In Zdravkovics persönlicher Karrierebilanz steht dieser Titel jedoch sogar eine Stufe unter seiner Zeit in Gießen, wie er im März 2010 in einem Interview auf der Homepage der Walter Tigers Tübingen bekundete: „In Gießen konnte ich mich spielerisch am meisten entwickeln und relativ viel Einsatzzeit sammeln. Es war daher die erfolgreichste Zeit meiner Karriere.“ Nach seiner aktiven Zeit blieb Zdravkovic in Süddeutschland und war bis 2013 Co-Trainer in Tübingen. Zudem agierte er als Sportlehrer an der internationalen Schule in Stuttgart.
Stationen nach seiner Zeit in Gießen: Würzburg, Bamberg, Ludwigsburg
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Wieder einmal treffend beschrieben. Danke für diese Rück-und Einblicke.
An Radi kann ich mich, wie vermutlich viele hier, sehr gut erinnern. Aber auch an Gill, der aufgrund seiner Verletzungen nur wenige Spiele für uns absolvierte. Seine Frisur: Cornrowse Übrigens waren für Whelton zwei Positionen die von besondere Bedeutung. Bei diesen Positionen legte er besonderen Wert auf qualitativ hochwertige Besetzung: die Position des PG und des PF . Irgendwie ehrt das auch Radi.
Die einzige Frage die offen bleibt: wer ist deissler ? -
An dieses Livespiel im TV (damals wirklich etwas sehr Besonderen für Gießen) erinnere ich mich noch gut. Radi hat das Spiel seines Lebens gemacht. Und es gab eine Szene, wo Backup-Center Norman Froemel den Ball über die Mittellinie bringt - der sah immer aus wie John Bryant direkt nach der Sommerpause. Bei dem Dribbling habe ich echt einen Lachkrampf gekriegt - so unbeholfen war das. Aber wir haben irgendwie trotzdem gewonnen. habe einen alten Spielbericht dazu gefunden:https://www.general-anzeiger-bonn.de/sport/regional/giessen-kauft-den-baskets-den-schneid-ab_aid-39893117
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@Styx2:
Die einzige Frage die offen bleibt: wer ist deissler ?
Der knuffigste Mensch im Fanblock. Alle lieben ihn, jeder mag ihn. Ein Herz für Deissler! Und wer das Projekt unterstützen mag, spendet hier: https://www.paypal.me/sinosprachkulturwang
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Danke, danke, aber das Radi-Stück ist vom SD-User schmock (wie angegeben), der fürs Hallenheft den Großteil der Kennst-du-noch-Artikel beigesteuert hat: Er ist ein wandelndes 46ers-Lexikon. Schmock war damit einverstanden, dass ich sie hier poste. Ich bin im Saisonverlauf manchmal eingesprungen, hatte aber hauptsächlich die Artikelserie zur Modern Hall of Fame. Analog zur alten Hall-of-Fame (https://jobstairs-giessen46ers.de/category/hall-of-fame/) war der Plan ursprünglich, diese demnächst ebenfalls auf der Homepage zu veröffentlichen, weshalb ich sie hier nicht poste. Ausnahme ist im Link ganz oben Chuck Eidson, der bereits im Herbst online ging.
Chuck Eidson: Der MVP https://jobstairs-giessen46ers.de/chuck-eidson-der-mvp/
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Ich will ja nicht schon wieder einen kleinen Fehler aufzeigen, aber 2004 waren nicht die Bamberger Meister, sondern Frankfurt mit Chris Williams. Bamberg feierte den ersten Titel bekanntlich erst 2005, nachdem sie uns mit Chuck, Lou, Heiko, Tono und Co. rausgeworfen haben.
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2011/2012: Zu alt, zu jung, zu lahm, zu klein: Zu schlecht
Neuer Trainer der Mittelhessen wird Björn Harmsen. Er krempelt das Team notgedrungen komplett um. Es bleiben Matze Perl und Elvir Ovcina, der sich trotz voranschreitenden Alters mit äußerster Professionalität auf die neue Saison vorbereitet. (#noPunIntended, John!) Wer den 35-Jährigen bei seinen Privateinheiten an der Lahn beobachtet, könnte glauben, Elvir sei in einen Jungbrunnen gefallen.Darüber hinaus sorgen die Verpflichtungen für Stirnrunzeln. Die Narben der Vorsaison sind längst nicht verheilt. Harmsens Transferpolitik ähnelt einem Gemischtwarenladen. Mit aller Macht soll der Eindruck vermieden werden, man setze erneut auf eine Söldnertruppe. Zu den schillerndsten Figuren im bunten 46ers-Reigen zählt Misan Nikagbatse, der im Saisonverlauf zusammen mit seinen Geschwistern den Namen seiner Mutter annehmen wird: Haldin. Haldin ist jener Spieler, der neun Jahre zuvor keinen geringeren als Yao Ming auf die falsche Seite des Posters bringt. (Quelle:
) Verletzungen werfen den seinerzeit kurz vor den Sprung in die NBA stehenden Guard immer wieder zurück. Haldin wechselt früh zu den 46ers. Jedem ist klar, dass die Mittelhessen seine letzte Chance sein werden, im Profibasketball anzugreifen. Auch ihm selbst, wie er in einem Pre-Season-Interview erläutert. (Quelle: )Er hat zu diesem Zeitpunkt zwei Jahre vom Basketball pausieren müssen. Als auch bei Youngster Perl der Meniskus zwickt, verpflichten die Gießener Achmadschah Zazai. Sein Transfer wird im Doppelpack mit dem Wechsel von Barry Stewart bekanntgegeben, der die 46ers verstärken wird. Im Herbst wird mit Chad „Nie am Brett“ Prewitt ein dreieraffiner Power Forward verpflichtet. Zu Saisonbeginn mimt diese Rolle zunächst Koko Archibong, an dessen roher Athletik der nagende Zahn der Zeit nur manchmal zu sehen sein wird. Einer der wenigen, der aus der letztjährigen sportlichen Konkursmasse gehalten wird, ist Maurice Jeffers. Es gehört zu den tragischen Geschichten dieser Tage, dass der Dauerbrenner ausgerechnet in jener Saison, in der er nicht erst nachverpflichtet wird, früh mit Knorpelschäden im Knie ausfallen wird. Bis Ende November beißt der beliebte Small Forward auf die Zähne und führt seine Farben mit knapp 15 Punkten pro Spiel.
Starting-Point-Guard ist der aus Weißenfels gekommene Radenko Pilcevic, der dem Team nur selten in einem ausreichenden Maße helfen wird. Prunkstück der Mittelhessen ist die Position Zwei, die neben Stewart von Wayne Bernard belebt wird. Last but not least mimt Robert Oehle hinter Ovcina die Rolle des Backup-Centers.
Die bittere Wahrheit lautet: Spielt man in diesem Jahr für die 46ers, so ist man entweder zu alt, zu jung, zu lahm, zu klein oder schlicht zu schlecht. (Oder ein Shooting Guard.) Deswegen nehmen die Fans die ersten drei deftigen Klatschen gleich zu Saisonbeginn vielleicht nicht mit stoischer Ruhe zur Kenntnis. Ans Verlieren aber hat man sich im Jahr acht der Dauermisere längst gewöhnt. Das Loser-Image hängt wie Mehltau über dem Verein. Dann kommt am vierten Spieltag Quakenbrück.
In einem Offensivspektakel entwickelt sich ein Kampf auf Augenhöhe. Allein: Mit Pilcevic, Ovcina, Archibong und Oehle müssen reihenweise 46ers-Akteure nach ihren fünften Fouls vom Feld. Per Buzzerbeater hat Bernard beim Stand von 97:97 dennoch den Sieg auf der Hand, vergibt aber. Alle lassen die Köpfe hängen. Nur Mo Jeffers will sich mit der „sicheren“ Overtime-Niederlage nicht abfinden. Als Center führt er ein ansonsten aus vier Guards bestehendes Team in die Schlacht und düpiert die Artländer ein ums andere Mal. 9 Punkte legt er den Gästen ins Nest. Die Osthalle gleicht nach dem 110:109 einem Tollhaus. Eine Zusammenfassung des Spiels findet sich auf YouTube – und ist ein echter Anschau-Befehl: https://tinyurl.com/y5cqfcqp.
Auf den zweiten Sieg müssen die 46ers bis Ende Oktober warten. Die Göttinger Veilchen werden mit 76:64 bezwungen. Kaum ein Team hatte es sich in den Vorjahren mit dem Guardterror der BG schwerer getan. Göttingen konnte mit Fug und Recht als Angstgegner bezeichnet werden. All das wird aber vom Horror-Unfall auf der Rückfahrt überschattet, bei dem BG-Spieler Marco Grimaldi Schwester und Lebensgefährtin verliert. RIP.
Für Gießen folgen Niederlagen gegen Bayreuth und Alba, gegen Trier kann aber mit 74:71 gewonnen werden. Wir befinden uns medial in einer interessanten Zwischenzeit. Der gutgemeinte, aber überteuerte und technisch unausgegorene Anbieter BBL.tv ist zu diesem Zeitpunkt nur eine schlimme Erinnerung. Was die Telekom wenig später anbieten wird, erscheint 2011 wie ein wahnwitziger Traum. Dem Zittersieg über Trier wohnen so nur wenige Schlammbeiser bei. Trier setzt auf Nachwuchs-Power: Die deutschen Hoffnungen Joshiko Saibou und Oskar Faßler werden in den Folgejahren für die 46ers auflaufen. Leistungsträger sind Maik Zirbes und Philip Zwiener. Im Match Mitte November steht es nach einem Layup von Stewart 72:70 für Gießen, knapp vier Minuten vor dem Spielende. Zwiener vergibt in der Folgezeit drei von vier Freiwürfen. Der taktisch gefoulte Jeffers beweist ein ruhigeres Händchen und schießt seine Farben zum Sieg.
Trier wird am Ende mit zwei Siegen mehr auf dem Konto knapp vor Gießen die Klasse halten. Der goldene Herbst gehört aber den 46ers. An einem Sonntagabend reist Bamberg in die Sporthalle Ost. Die Franken befinden sich im Peak ihrer Dynastie. In der Liga sollen sie nur vier Spiele verlieren. In den Playoffs kann nur Bonn den Brose-Boys eine Niederlage abtrotzen. Halbfinale und Finale enden mit Sweeps über Quakenbrück und Ulm. Gießen war, ist und bleibt aber kein gutes Pflaster für Bamberg.
Brian Roberts schießt die Gäste mit 4:0 in Führung. Erst nach drei Minuten markiert Pilcevic die ersten Zähler für Gießen, die dem Match durch ihre defensive Galligkeit aber den Stempel aufdrücken. Ovcina stellt zur Viertelmitte auf 4:6, Bernard auf 6:6. Pilcevic bringt Gießen nach einem Run erstmals in Führung. Stewart erhöht auf 14:6 nach gut sieben Minuten. Was folgt, wird in der Datenbank der BBL als „erfolgreicher Nahdistanzwurf“ nach Ballgewinn ausgezeichnet. Tatsächlich stiehlt Archibong den Ball, dribbelt nach vorne und lässt das Spielgerät mit Brachialgewalt durch die Reuse flutschen: 16:6. Gegen seinen ehemaligen Arbeitgeber legt der Forward zum 18:8 nach. In der Endphase erbeutet er einen Offensivrebound und bedient Jeffers: 20:8. Archibong selbst besorgt den Viertelendstand von 22:10.
Bamberg braucht exakt bis zum Ende des dritten Viertels, um gleichzuziehen. Trotzdem entwickelt sich ein Duell auf Augenhöhe im Schlussabschnitt. Im Block positioniert sich Ex-Fan, Ex-Hallensprecher, Ex-Manager und jetzt Ex-Vertriebsleiter Dirk Schäfer, dessen Abschied kurz zuvor bekannt geworden war, wie früher mit seiner Trompete und gibt den Takt ein letztes Mal vor.* Auch Geschäftsführer Syrings Ausscheiden zum Saisonende wird bekannt, ebenso der Abgang Bogojevics, der nach seiner Coach-Demission als Sportdirektor tätig war. Es sind Vorboten tiefgreifender Umwälzungen an der Lahn. An jenem Novembertag zählt aber nur, dass die 46ers bis in die Endphase eine Siegchance gegen den turmhohen Favoriten haben.
Gavel, ausgerechnet Gavel, bringt Bamberg in der Schlussminute nach Dreier mit 65:64 in Front. Alle rechnen mit einem Sieg des Favoriten. Es bleiben aber die letzten fränkischen Punkte. Was dann geschieht, ist zum Glück auf YouTube festgehalten worden. Nur so viel: Stewart verwandelt die Osthalle in ein einziges Tollhaus. Ein Endorphin-Ausstoß für die Geschichtsbücher:
. (Der Spielbericht findet sich hier: )Vor der Halle wird Bamberg-Forward Marcus Slaughter mit „Currywurst“-Gesängen bedacht. (Zum Hintergrund: https://www.ballineurope.com/the-incredible-story-of-marcus-slaughter-and-bremerhaven/) Demonstrativ kauft sich der Big Man daraufhin eine Wurst. Bei den Fans wird der David-gegen-Goliath-Moment noch lange nachhallen. Zu den Mysterien jener Spielzeit zählt aber, dass der Triumph im Team fast wirkungslos zu verpuffen scheint. Auch ein Sieg gegen den späteren Meister bringt nur zwei Punkte. Gegen Hagen gewinnen die 46ers noch einmal. Niederlagen gegen Tübingen, Braunschweig, Oldenburg, Frankfurt und Ulm bringen dann aber den altbekannten Krisenmodus zurück an die Lahn.
Mit ähnlich krassen Verlustserien wie in den Vorjahren kann die Spielzeit zwar nicht aufwarten. Alle vier bis fünf Wochen fahren die 46ers Punkte ein. Im Januar glückt sogar der Doppelschlag gegen Tübingen und Frankfurt. Im Derby wächst unter anderem Prewitt schier über sich hinaus. Unterm Strich reicht aber auch das nicht, um sich vom Tabellenkeller abzusetzen. Harmsens Spielweise und Erfolgsbilanz sorgt für raue Kritik. Da er punktuell Siege einfährt, halten die Verantwortlichen trotzdem an ihm fest. Die 46ers haben sich bis zu diesem Zeitpunkt sechs Trainer in sieben Jahren geleistet. Umgestellt wird fast geräuschlos auf der Kommandobrücke. Syrings Ansehen ist unbeschadet: Im Frühsommer soll er von Heiko Schelberg beerbt werden, der ab Januar eingearbeitet wird. (Quelle: https://www.wlz-online.de/sport/lokalsport/korbacher-koerbe-vermarktet-5407300.html) Ein Sieg über Trier Anfang April reicht, dass die 46ers mit TBB, Hagen und Ludwigsburg bis zum letzten Spieltag um Rang sechzehn buhlen. Göttingen steht schon lange als Absteiger fest, kann einen von nur vier Siegen im März aber gegen Gießen einfahren.
Das erklärt, weshalb es in Hagen zum Showdown um den Klassenerhalt kommt. Vierhundert mitgereiste Fans haben sich in Sonderbussen auf den Weg ins Ruhrgebiet gemacht. Ingo Freyers Feuervögel kommen mit der Anspannung besser zurecht und siegen am Ende ungefährdet mit 85:72. Ein 30:20 im Auftaktviertel legt den Grundstein. Gießen lässt sich den Freyer-Stil aufdrücken. Zygimantas Jonusas reust Dreier wie am Fließband und treibt die Hessen zur Verzweiflung. Danach handelt es sich um ein ausgeglichenes Spiel. Näher als auf 67:74 kommt man aber nicht heran. Hagen feiert, Gießen steigt sportlich ab. (Spielbericht:
)Vor der Halle trösten sich die mitgereisten 46ers-Fans mit Freibier. Einige skandieren in Richtung des neuen Geschäftsführers Schelberg: „Keine Wildcard!“ Ein Spruchband mit gleicher Botschaft wird noch in der Nacht am Headquarter des Clubs angebracht. Den meisten Anhängern schwant schon da Übles.
- Ich könnte schwören, dass das bei diesem Spiel war. Im Hintergrund der Videos sieht man auch die Banner „Danke Vladi“ und „Danke Dirk“. Aber eine Quelle ließ sich nicht finden. Kann gerne berichtigt werden. Ich gehe vorerst davon aus, dass die Aktion bei dem irren Sieg einfach unterging.
Hinweis: Wer das Projekt mit einer Spende unterstützen möchte, kann das hier tun: https://www.paypal.me/sinosprachkulturwang
Mein Dank gilt den bisherigen Spendern.Hinweis 2: Das finale Jahr werde ich splitten. Ich will nichts unnötig in die Länge ziehen, aber es ist 2012/2013 so viel passiert… das dauert.
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Das Spiel gegen Quakenbrück war definitiv eines der absoluten Highlights überhaupt. Irgendwie hatte man keinen Pfifferling mehr auf einen Sieg gegeben, und dann machte unser “Center” Jeffers ein And 1 nach dem anderen rein und gewinnt uns so ein total irres Spiel. Viel bekloppter gehts einfach nicht mehr…
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Kennst du noch… Danilo Pinnock
Er kam, sah und gingVerweildauer bei den 46ers: Dezember 2006 bis Januar 2007
Spiele für Gießen: 8
Punkte: 120 (15 im Schnitt)Kontext: Im Dezember 2006 kriselte es an der Lahn. Aus den ersten zwölf Spielen konnte nur ein magerer Sieg geholt werden. Trainer Stefan Koch würde in Kürze seinen Hut nehmen müssen. Noch versuchte der Verein aber alles, um genügend Schlagkraft ins Team zu bringen. Unterm Brett war mit James Head ein Forward nachverpflichtet worden. Am 20. November gaben die Verantwortlichen dann einen Transfer bekannt, der es in sich hatte. Danilo Pinnock wechselte von keinem geringeren Verein als den LA Lakers in der NBA ins Hessenland. Der damals 22-Jährige war in der zweiten Runde des NBA Drafts an 58. Stelle ausgewählt worden. In den sommerlichen Try-outs hatte er es in den vorläufigen Kader des legendären kalifornischen Clubs geschafft – und war erst als Vorletzter „gecuttet“ worden.
Wer war Pinnock? Der mit einem US-amerikanischen und panamaischen Pass ausgestatte Shooter hatte in der Summer League zu überzeugen gewusst und auch in der Nationalmannschaft seines mittelamerikanischen Heimatlandes erste Duftmarken gesetzt. Das gewohnt skeptische Gießener Umfeld war ob dieser Vorschusslorbeeren vorsichtig und wollte das erste Spiel des Neuen gegen Trier abwarten. Pinnock lieferte: 31 Punkte und 9 Rebounds ließen die Kritiker kurzzeitig verstummen, obschon sechs Ballverluste und eine fragwürdige Schussauswahl Stoff für Diskussionen geliefert hätten. Dazu aber war keine Zeit, wurde kurz danach doch der freiwillige Rückzug von Coach Koch bekannt. Beim ersten Sieg nach vielen Wochen in Ulm lieferte Pinnock solide Zahlen (16 Punkte, 6 Rebounds), auch wenn seine Quoten aus dem Feld weiter im Sinkflug waren.
Wie die Geschichte ausging: Der neue Mann an der Seitenauslinie Ken Scalabroni sollte den 46ers-Dampfer wieder manövrierfähig machen. Die zunehmenden Undiszipliniertheiten des US-Boys nagten aber am Nervenkostüm der Verantwortlichen und Fans. Nach einem Auswärtsspiel lieferte sich Pinnock ein heftiges Wortgefecht mit einem mitgereisten Schlachtenbummler. Erst als Pinnock Mitte Januar aussortiert worden war, nahm das Projekt „Klassenerhalt“ Form an. Vor allem Rouven Rössler wuchs in der zweiten Saisonhälfte regelmäßig über sich hinaus. Gießen konnte den drohenden Abstieg schließlich abwenden. Pinnock, der sich mental wohl noch in der NBA gewähnt hatte, sollte nie wieder nach Europa zurückkehren. In diversen südamerikanischen Ligen war dem Guard aber eine lange Karriere beschieden. Als die 46ers 2015 ihren Aufstieg in die Basketball-Bundesliga feierten, spielte Pinnock gerade seine letzte Saison für Huracanes del Atlantico in der dominikanischen LNB. Da ihm in der englischsprachigen Wikipedia ein großer Fan gesonnen sein muss, liegen all seine Statistiken der Jahre 2006 bis 2015 vor. Kurzum: Das mittelhessische Intermezzo schien auch für Pinnock kein reines Verlustsummenspiel gewesen zu sein. Seine fragwürdige Schussauswahl muss er gründlich überdacht haben. Trotz hoher Punkteausbeuten sollte seine Quote nirgends mehr annähernd so schlecht sein, wie in Gießen. Mit Capitanes de Arecibo feierte er 2010 und 2011 in Puerto Rico zwei Meisterschaften. Laut seinem Twitter-Account arbeitet er heute als Jugendtrainer.
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2012/13: Wildcard. Der Tragödie erster Teil
2009 erweckt die Aussicht auf eine Wildcard die mittelhessischen Lebensgeister neu. Gibt es negative Stimmen? Freilich. Insgesamt etablieren Fans und Verein aber in bester Wagenburg-Mentalität eine „Jetzt erst recht“-Stimmung, die dem Narrativ des kleinen gallischen Dorfes folgt, das einfach weitermacht. Was stört es die Eiche, wenn sich die Wildsau an ihr reibt?2012 ist die Lage quasi komplett umgekehrt. Die Diskussionen beginnen dabei nicht vage im Sommer oder immerhin Mai, sondern bereits unmittelbar nach dem Hagen-Spiel, das den je nach Interpretation zweiten oder dritten sportlichen Abstieg bedeutet. Aus der Deus ex Machina wird eine „Deus ex Nicht schon wieder“. Die ProA hat an Schrecken verloren. Tagesaktuell beweist der MBC, dass es auch in Deutschland so etwas wie Fahrstuhlmannschaften geben kann. Lich, das Schaufenster in die Zweitligawelt, spielt längst in der ProB und hat seine Funktion als Vergleichsschablone eingebüßt. Der FC Bayern alleine hatte dem Unterhaus einen ganz neuen Anstrich verliehen. Aus dem Mantra, wonach ProA in Gießen einfach nicht ginge, wird der existentielle Wunsch, wenigstens alle zwei bis drei Wochen mal zu gewinnen. Wir sind es in einem Maße leid, dass mir die Worte ausgehen. Blicken wir stattdessen ins Schönen-Dunk-Forum jener Tage:
Haarlem-Allstar: „Die Verantwortlichen in Gießen haben es in jahrelanger mühevoller Kleinstarbeit geschafft, das einzige zu zerstören, was hier noch erstklassig war: den unbändigen Willen, das auch zu bleiben. Von den Leuten, die ihre Freizeit für den Verein opfern, hat keiner mehr Lust auf das Theaterstadl, und wenn das die Geldgeber auch so sehen, dürfte der Fall eigentlich klar sein.“
G-Mob: „Glückwunsch Hagen. Evt. sehen wir uns ja irgendwann mal wieder, werde mich nächste Saison in der Regionalliga rumtummeln, da mein alter BBL Verein nach der 10en Wildcard für mich gestorben ist.“ [Er meint den MTV Gießen und wird berichtigt, da dieser jüngst in die Oberliga aufsteigt.]
Schmock: „Wie schlecht muss ein Verein, der IMMMMMMER am unteren Ende steht, eigentlich planen und wirtschaften, wenn ein Abstieg das Ende des Basketballs wäre…das kann einem doch keiner erklären…dann soll man es gleich lassen.“
sad_proffesor: "BBL-Geschäftsführer Jan Pommer hat bereits durchblicken lassen, dass er nichts dagegen hätte, Giessen weiter in der Bundesliga zu sehen. Wildcard die Dritte?“
Am 31. Mai werden die Befürchtungen wahr. Die 46ers vermelden via PM: „Positive Nachrichten von der AG-Tagung der Beko Basketball Bundesliga in Würzburg: Die 16 Klubs der Beko BBL haben sich für die Vergabe einer Wildcard für die Saison 2012/2013 ausgesprochen. Neben dem Aufsteiger Weißenfels soll – wie gehabt – ein 18. Verein in der kommenden Spielzeit an den Start gehen. Damit besteht für die LTi GIESSEN 46ers weiterhin die Möglichkeit, auch in der kommenden Saison in der höchsten deutschen Spielklasse vertreten zu sein.“
Schelberg will die Entscheidungsträger und das Umfeld emotional und rational von dem Plan überzeugen, wie es in der Meldung weiter heißt. An Harmsen, dem man im tiefen Abstiegskampf noch einen Zwei-Jahres-Vertrag gegeben hatte, hält man vorerst fest. Erst Ende Mai wird der Kontrakt einvernehmlich aufgelöst: konkret sieben Tage vor der PM, wonach die 46ers ihren Hut in den Wildcard-Ring werfen. Die Entscheidung der Liga soll bereits kurz danach fallen.
Doch warum war überhaupt ein Startplatz in der Beletage des deutschen Basketballs vakant geworden? ProA-Finalist Kirchheim Knights hatte keine Lizenz gestellt. Gegner der Ritter war im Halbfinale Düsseldorf, die sehr gerne zurück in die Bundesliga wollen und sich ebenfalls bewerben. Die BBL-Vertreter entscheiden sich aber deutlich für Gießen, den einzigen Mitkonkurrenten. Pikant: Düsseldorf verliert in diesen Tagen parallel die Lizenz für die zweite Liga und muss sich einer Liquiditätsprüfung unterziehen lassen.
Erneut gibt es ein Bewerbungsvideo, das von den Entscheidungsträgern gelobt wird. Es trägt auf YouTube den Titelzusatz „2012“ – Verwechslungsgefahren sind damit ausgeschlossen, Déjà-vus nicht:
Die 46ers fahren schweres Geschütz auf. Unter anderem kommt der noch relativ neue hessische Ministerpräsident Volker Bouffier zu Wort, der in seiner Jugend für den MTV Basketball gespielt hat und heute in Laufnähe zur Osthalle lebt. Das Video ist tatsächlich exzellent gemacht, die Gänsehaut hat aber keine lange Haltbarkeit. Als die Liga Gießen die Wildcard für teuer Geld zuschiebt, bleiben Feierlichkeiten aus. Zumindest bei mir.
Denn ich will ehrlich sein: Diese Chronik lebt – so hoffe ich zumindest – von meiner tiefen emotionalen Teilhabe der vergangenen sieben Jahre. Mein Verhältnis zu den 46ers im Sommer jenes Jahrs kühlt sich aber ab. Ich nehme ihnen die Wildcard-Entscheidung persönlich krumm. Natürlich verfolge ich die Entwicklungen mit interessierter Distanz - aber eben nicht mehr.
Natürlich gibt es Anekdoten. Nach dem Umbau der Osthalle nennt sich der Bereich oberhalb der Stehplätze in diesen Tagen “Galerie” - ebenso wie ein verbautes, damals noch recht neues Einkaufszentrum im Gießener Zentrum: Galerie Neustädter Tor. Beide Eigennamen verlöten meine Synapsen zu einem Wortspiel. Irgendwann schlage ich im Sommer vor, den Fanclub aufzulösen, in den Bereich oberhalb des Stehblocks auszuweichen und die neue Gruppierung “Galerie ‘Wir haben sonst nichts vor’” zu taufen. Nur ein schwacher Kalauer, keine Frage, aber er verrät viel über meinen und unseren Gemütszustand.
Die Verpflichtung des neuen Headcoachs Mathias Fischer nehme ich diesbezüglich neutral zur Kenntnis. Er wird einen guten Job machen und nicht zum Sündenbock. Noch bin ich froh, dass die Sommerpause einige Monate anhalten wird.
Was die Saison 2012/2013 dann wirklich zu bieten hat, lässt aber auch mich nicht kalt. Von den sportlichen Umwälzungen und dem Saisonbeginn erzählt der nächste Teil.
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Mein Dank gilt den bisherigen Spendern. -
Scalabronis wahres „Meisterstück“:
Kennst du noch… Brian Snider?Verweildauer bei den 46ers: Saison 2006/2007
Vereine vor seiner Verpflichtung: Western Michigan (NCAA)
Spiele für Gießen: 34
Punkte (gesamt): 177 (5,2 pro Partie)
Kontext: Die Gießen 46ers standen im Sommer 2006 vor einem großen Umbruch. Während ganz Deutschland glückselig durch die kaiserliche Fußball-WM taumelte, zerbröselte in Basketball-Gießen endgültig die legendäre Mannschaft der Saison 2004/2005. Bis auf den ewigen Florian Hartenstein und Gerrit Terdenge hatten alle Helden von einst dem Elefantenklo nun endgültig den Rücken gekehrt und zogen aus, um die große Basketballwelt das Fürchten zu lehren.
Mit Stefan Koch verblieb jedoch ihr Lehrmeister an der Lahn und bastelte an einem von Grund auf neu zu errichtetem Team. Einer seiner neuen Schützlinge hörte auf den Namen Brian Snider und trat frisch vom College seine erste Profistation an.
Wer war Snider? Snider war als Backup auf der Aufbauposition eingeplant und man wusste recht wenig über ihn, bevor er seine Zelte an der Lahn aufschlug. Diese wurden jedoch schon am ersten Spieltag in Ludwigsburg von einer gehörigen Windböe erfasst und Snider schlug hart auf dem Boden der BBL-Realität auf. In einem völlig überforderten 46ers-Team blieb der 23-jährige beim Gastspiel in der Barockstadt leider besonders negativ in Erinnerung. Zwar erwischte jeder Mittelhesse einen rabenschwarzen Tag, doch Snider stach noch heraus. Er hatte erhebliche Probleme beim Ballvortrag und leistete sich fünf Ballverluste, einige davon sogar noch in der eigenen Hälfte. Zudem fand nur einer seiner sieben Wurfversuche das Ziel und die mitgereisten Fans fuhren mit einigen Fragezeichen in den entsetzten Gesichtern im vollbesetzten Fanbus zurück nach Gießen.
Doch Snider erwies sich als Kämpfernatur und ließ sich nicht unterkriegen. Er fightete sich in die Herzen der Gießener Fans, die ihm seine mangelnde Qualität immer öfter nachsahen. Auch abseits des Feldes avancierte er zum Sympathieträger und zählte im altehrwürdigen Musikkeller Haarlem durchaus zu den Leistungsträgern.
Unter Coach Ken Scalabroni, der nach dem freiwilligen Rückzug Kochs das Ruder an der Lahn übernahm, stabilisierte sich Snider immer mehr. So stand er beispielsweise am 28.Spieltag gegen Trier die gesamten 40 Minuten auf dem Parkett und führte die 46ers mit 12 Punkten, 5 Assists und 5 Rebounds zum knappen Erfolg, den seinerzeit Rouven Roessler im Tollhaus Osthalle per Buzzer Beater perfekt machte. Coach Scalabroni hatte es also geschafft, aus dem hoffnungslos überforderten Playmaker einen soliden Bundesligaspieler zu formen. Der eine oder andere Fan rechnet ihm dies noch heute als ein größeres Meisterwerk an, als den letztlich sogar souverän eingefahrenen Klassenerhalt.Wie die Geschichte ausging: Snider schien die turbulente Saison in Gießen jedoch so mitgenommen zu haben, dass er andere Wege einschlug. Zunächst läuteten im August 2007 die Hochzeitsglocken, ehe Snider seine Basketballschuhe auch schon wieder an den Nagel hängte und eine weitere Profikarriere nicht forcierte. Den sozialen Netzwerken lässt sich entnehmen, dass er seit 2017 als Sales Manager bei Stryker Orthopaedics arbeitet.
Im Sommer dieses Jahres stattete er zudem mit seiner Familie seinem College in West Michigan wieder einmal einen Besuch ab und war sichtlich erfreut, zu seinen Wurzeln zurückzukehren.
Ob Snider auch noch irgendwo sein 46ers-Jersey mit der Nummer 4 als Andenken an seine einzige Profistation aufbewahrt hat, ist jedoch nicht überliefert.Stationen nach seiner Zeit in Gießen: Karriereende_Autor: SD-User schmock_
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2012/13: A Long Way Down – der Tragödie zweiter Teil.
Anfangs schrieb ich, dass die 46ers-Fan den Kader der Saison 2005 aufsagen können wie das ABC. Für das vorerst letzte Bundesligajahr des Dinos gilt das nicht wirklich.Eine Ausnahme gibt es: Ovcina wird nicht nur gehalten. Er wird dem Club auch bis zum allerletzten Spiel treubleiben. Verletzungsbedingt verpasst er nur die ersten Partien. Vergleicht man den Kader zum Saisonauftakt mit dem zum Hauptrundenabschluss, glaubt man es mit zwei verschiedenen Mannschaften zu tun zu haben.
Gegen Hagen Anfang Oktober schickt Coach Fischer Ryan Brooks, LaQuan Prowell, Dijuan Harris, Jimmy Baxter, Benjamin Ortner, John Fields, Oskar Faßler, Dominik Spohr und am Ende der Rotation Youngster Jonas Weiser aufs Parkett. Acht turbulente Monate später sind am letzten Spieltag gegen Oldenburg – neben Ovcina – noch Spohr, Weiser und Faßler im Team. Insgesamt zwanzig Spieler werden kommen und gehen. Darunter sind viele Jugendspieler, die zur Saisonmitte notgedrungen das 46ers-Schiff in den Hafen bringen. Es gibt aber auch Nachverpflichtungen und frühe Abgänge. Es ist ein wilder Ritt, von dem zum Auftakt in Hagen noch nichts zu spüren ist.
Denn die Gießener nehmen Revanche: An selber Stelle, wo einen Sommer zuvor der Abstieg besiegelt wurde, gewinnen die Mittelhessen mit 73:68. Viel hätte ich dafür gegeben, es sei andersherum gewesen: Einen Punktgewinn im vergangenen April hätte ich liebend gerne gegen den Auftaktsieg eingetauscht. Dieser aber war souveräner, als es das Ergebnis suggeriert.
Es ist der 1. Spieltag: Freyer lässt seine beiden am Ende korbstärksten Akteure Larry Gordon und David Bell zu Beginn auf der Bank schmoren. Bei Gießen spielen fünf Spieler mehr als 30 Minuten – und das teilweise deutlich. Bester Mann bei den 46ers ist Brooks, der nach seiner Rookie-Saison ein Jahr zuvor durch Bernard ausgetauscht worden war und im Juli an die Lahn zurückkehrt. Er wird bis Ende Januar bei den 46ers bleiben und auch im Schnitt Topscorer, bevor er ausgerechnet zu den Skyliners überläuft.
Identisches gilt für Prowell: einen agilen, sprungstarken Power Forward. Auch er trägt in Hagen mit 16 Punkten und 7 Rebounds massiv zum Sieg bei. Auch er wird in der ersten Saisonhälfte auf starke Werte kommen. Auch ihn zieht es Ende Januar nach Höchst. 13 Punkte bei den Feuervögeln markiert Harris, der – ebenfalls – nach 19 Einsätzen das Weite sucht. Für Abwechslung sorgt Jimmy Baxter, der in Hagen noch eine seiner schwächeren Leistungen zeigen wird. In seinen anderen acht Einsätzen ist er – sportlich – ein Leistungsträger des Teams. Die folgende Talfahrt des Vereins, der sich personell zu Saisonbeginn eigentlich stark aufgestellt hatte, hing auch mit dem Charakter ihrer Individualisten zusammen. Baxter wird im November zuerst beurlaubt, dann „gegangen“.
Ortner – der Gigant aus Innsbruck – wird für den verletzten Ovcina nachverpflichtet: und das zunächst für drei Monate. In Hagen dominiert er die Bretter fast im Alleingang und schreibt sich 9 Punkte und 15 Rebounds in den Bogen. Nach seiner NCAA-Zeit spielte er von 2005 bis 2018 durchgängig in Italien. Mit Ausnahme seines Vier-Spiele-Intermezzos bei den Gießenern: Siena kauft den exzellenten Innenspieler einfach aus seinem Vertrag heraus.
„Ich habe mir mehr Spielzeit erhofft und werde nun mein Glück bei einem anderen Verein suchen“, erklärt Fields nach sieben Einsätzen für die 46ers, warum er das Hessenland verlassen möchte. Sportlich setzt der wenig dominante Forward tatsächlich keine Akzente. In Hagen markiert er 0 Punkte und 4 Rebounds.
Auch die Personalrochaden tragen dazu bei, dass man sich an der Lahn trotz Auftaktsieg nicht umgewöhnen muss. Gegen Bayern, Würzburg und Bremerhaven verliert man zweistellig. Die Eisbären düpieren die 46ers in eigener Halle sogar mit 114:80. Es ist erst Mitte Oktober – und der gebeutelte Club abermals am Abgrund.
Gegen Johannes Lischkas neuen Verein Tübingen setzen die 46ers nach verschlafener erster Halbzeit ebenfalls keinen Stich. Es ist das erste Spiel von Achmadscha Zazai, der an alte Wirkungsstätte zurückgekehrt ist und bis zum bitteren Ende bleiben wird. Bei den Tigers hat er noch Sand im Getriebe und bleibt ohne Korberfolg. Auf lange Sicht verliert er aber sein Herz an den „MTV“. 2015 wird er unter anderen Vorzeichen erneut zurückkehren, wenig später eine Saft- und Müslibar in der Gießener Innenstadt eröffnen.
Kurz vor Halloween wird Bamberg in der Osthalle vorstellig. Selten wäre das Timing für einen Überraschungssieg besser gewesen. Zur Halbzeit sind die 46ers auch einmal mehr auf Kurs und führen knapp. Danach kennen die Franken keine Gnade. Bostjan Nachbar zeigt sein komplettes Spiel. 87:65 heißt es am Ende gegen den späteren Meister. Einen Lichtblick gibt es: Ovcina ist mittlerweile wieder fit. Gegen Bamberg hält er mit 21 Punkten und 7 Rebounds nach Kräften dagegen.
Bayreuth obsiegt mit 95:86, gegen die Artland Dragons verpatzt man das erste Viertel und kann nur noch zum 82:86 aufschließen. Vorläufiger Tiefpunkt ist aber Trier, die Gießen bei lausigen 48 Punkten halten. Der nachverpflichtete Jasmin Perkovic gibt im Schatten der Porta Nigra seinen Einstand, kann aber auch nichts ausrichten. Für den steilen Abstieg des Tabellenletzten interessiert sich sogar die überregionale Presse. In der FAZ heißt es:
„Nach vielen Einzelgesprächen mit den Spielern in den zurückliegenden Tagen ist der ‚Störfaktor‘ nun gefunden. An diesem Donnerstag soll die Beurlaubung eines Spielers bekanntgegeben werden, dessen Namen die Vereinsführung nicht nennen will. Nach Informationen der Frankfurter Allgemeinen Zeitung könnte es sich um Jimmy Baxter handeln. Der 31 Jahre alte Flügelspieler ist in seiner Sportart ein Weltenbummler. Trotz seiner Erfahrung ist es ihm scheinbar nicht gelungen, sich in das Team zu integrieren. Eines, das Schwierigkeiten mit der Disziplin hat, offen an- und ausgesprochen von Routinier Elvir Ovcina. Aber sind damit die Probleme gelöst? Wohl nicht. Jasmin Perkovic, der mit Oldenburg 2009 deutscher Meister geworden ist, war schockiert, nachdem er in Trier seinen Einstand gegeben hatte. ‚Nach meinen vorherigen Stationen bin ich es nicht gewohnt, auf diesem Level zu spielen‘, sagte der Kroate. Er bemängelte die schlechte Organisation und das Fehlverhalten bei der Ausführung der Spielsysteme. Eine Strafe für seine offenen Worte muss der Power Forward nicht befürchten. ‚Er hat ja nicht Unrecht‘, findet Schelberg.“
Auch von Altlasten ist die Rede, die Nebenkriegsschauplätze verbieten würden. Von der Aufbruchstimmung des Sommers, von der die FAZ schreibt, habe ich allerdings nichts mitbekommen. Womöglich waren die Olympischen Spiele in London einfach reizvoller. Die teaminternen Unruhen erklären aber auch, weshalb sich das Management demonstrativ vor Fischer stellt. Wir werden weder zu diesem Zeitpunkt noch später einen Anlass haben, an dieser Trainerpolitik zu zweifeln. Da passt es gut ins Bild, dass Bonn am darauffolgenden Wochenende bezwungen werden kann.
Für die Gießener sind es zwei wichtige Punkte im Abstiegskampf. Zugleich wird es der letzte Auftritt von Chris Ensminger an der Lahn sein. Der Mann mit den fliegenden Ellbogen hatte in den vorangegangenen eineinhalb Jahrzehnten keinen guten Stand in der Osthalle. Dort packt der kurz vor seinem 39. Geburtstag stehende Center aber nochmal sein A-Game aus. 19 Punkte und 5 Rebounds der Liga-Legende, dessen Status längst auch in Gießen anerkannt ist, reichen für die Magentamänner nicht aus. Der Respekt jedoch bleibt – offenbar beruht er sogar auf Gegenseitigkeit:
In der ProA – Ensminger ist Trainer in Gotha, gegen die wir gerade ein Heimspiel hatten – läuft er an einer Traube von Gießener Fans vorbei gen Hallenausgang. Schelmisch, aber mit dezenter Restangst vor seiner Reaktion, skandieren wir „Ensminger raus! Ensminger raus!“ Zu unserer Erleichterung muss er selbst lachen. Ensminger geht drei Schritte, macht erneut kehrt und schickt uns seinerseits einen Ruf mit breitem amerikanischen Akzent hinterher: „Alle auf die vier! Alle auf die vier!“ Wir kringeln uns gemeinsam.
Im Dezember 2012 nimmt das 46ers-Schiff tatsächlich noch mal Kurs auf. Braunschweig auswärts und Alba zu Hause sind eine Nummer zu groß. Gegen ebenfalls vom Abstieg bedrohte Ludwigsburger Neckar Riesen heißt es aber 76:71. Kurz zuvor ist Jeffrey Bonds zum Team gestoßen, der Baxter ersetzen soll. 13 Punkte markiert der Small Forward direkt gegen Ludwigsburg, bei denen mit Wayne Bernard und Max Weber zwei ehemalige Gießener auflaufen.
Es ist der 16. Dezember, die 46ers wittern Morgenluft. Unmittelbar vor Weihnachten will man sich gegen bärenstarke Ulmer selbst bescheren. Wir ahnen nicht im Ansatz, was auf uns zurollt.
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Der einzige Isländer im 46ers-Dress
Kennst du noch… Logi Gunnarsson?
Verweildauer bei den 46ers: Saison 2003-2005
Vereine vor seiner Verpflichtung: UMFM Njardvik (ISL), ratiopharm ulm
Spiele für Gießen: 28
Punkte (gesamt): 98 (3,5 pro Partie)Kontext: 2003 kehrte die Tradition in die Osthalle zurück. Nach 3 „Avitos-Jahren“ knüpften die Macher mit dem Namen GIESSEN 46ers an die glorreiche Vergangenheit der „Männerturner“ an und gestalteten eine quasi komplett neue Mannschaft. Einer der Neuen war der talentierte Isländer Logi Gunnarsson, der auf den Guardpositionen beheimatet war und den Sprung nach Deutschland gewagt hatte. In Ulm (2. Liga) spielte sich der schüchterne Mann aus dem Norden Europas in den Fokus der 46ers und sollte der Back-Up für Mookie Thomas werden.
Wer war Gunnarsson? Gunnarsson trat stets bescheiden und zurückhaltend auf. Auf dem Feld jedoch zeigte er vollen Einsatz und konnte nach erfolgreichen Aktionen gerne wie ein Geysir aus seiner Heimat explodieren. Davon bekamen die Gießener Fans in der ersten Saison jedoch wenig zu sehen. Begann die Spielzeit mit dem Heimsieg gegen Berlin mit einem Paukenschlag, wurde es danach immer desaströser. Ähnlich verlief die Runde für Gunnarsson, der zunächst regelmäßig zum Einsatz kam und im November in Trier und Karlsruhe in der Startformation stand. Danach machte ihm jedoch die Schulter zu schaffen, sodass er meist verletzt pausierte. Er kam nur noch zu sporadischen Einsätzen und konnte den sportlichen Abstieg nicht verhindern. Ganz anders verlief die zweite Saison, als die 46ers als die jungen Wilden die Liga aufmischten. Hinter dem kongeniale Duo Anton Gavel und Heiko Schaffartzik kam Gießens einziger Isländer allerdings nur zu Kurzeinsätzen. Doch am 9. April 2005 hatte auch er seinen großen Auftritt. Schaffartziks Rücken zwickte, sodass Coach Stefan Koch ihm gegen Leverkusen mehr Minuten einräumte: Er schwamm auf der Woge der Begeisterung mit. Die 46ers warfen sich gegen den Rekordmeister in einen Rausch. Gunnarsson versenkte drei Dreier und verpasste mit 12 Punkten nur um zwei Zähler sein Karrierehighlight, welches er in der Vorsaison ebenfalls gegen Leverkusen erreichte. In der anschließenden Pressekonferenz war Leverkusens Trainer Heimo Förster sichtlich beeindruckt von diesem Gießener Offensivfeuerwerk und rang nach Erklärungen für die 83:99-Pleite. Letztlich blieb dieser vielsagende Satz hängen: „Aber was will man machen, wenn dann auch von der Bank… wie heißt der Kollege… Gunnarsson… heiß läuft“. In den Playoffs kam der Guard gegen Bamberg zu einigen Minuten, da die halbe 46ers-Mannschaft erkrankt war, ehe er seine Zelte an der Lahn wieder abbrach.
Wie die Geschichte ausging: Gunnarsson erlebte eine intensive Zeit in der Osthalle, nahm er in seinen zwei Jahren doch Hölle und Himmel mit. Das er in Gießen aufgrund seiner sympathischen Art beliebt war und im Gedächtnis blieb, wurde zehn Jahre später bei der Basketball-EM in Berlin deutlich. Island spielte in derselben Gruppe wie Deutschland und Gunnarsson war immer noch im Dienst für sein Land, sodass auch er in der Arena am Ostbahnhof auflief. Zwei 46ers-Fans ließen sich die Spiele Islands nicht entgehen. Nach einem derselben geschah folgendes: Mit lauten „Looogi“-Rufen rissen sie den ehemaligen 46er aus seiner Glückseligkeit vor dem fantastischen isländischen Fanblock, der sein chancenloses Team abfeierte. Mit strahlenden Augen kam er auf die Gießener zu, die – passenderweise – in Schaffartzik- und Gavel-Trikots gehüllt waren. Es folgte ein kurzer Plausch.
Autor: SD-User schmock
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looooooooooogi
auch in bayreuth nicht vergessen. sehr geiler typ!
und…. https://www.onetz.de/deutschland-und-die-welt-r/sport-de-welt/basketball-d1394161.html
und ein legendäres 46-punkte-spiel gegen breitengüßbach ist mir auch noch in erinnerung. was n spaß! hach ja.
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2012/2013 – Während in Villariba noch geputzt wird, wird in Villabacho schon wieder gefeiert. Der Tragödie dritter Teil
Das Spiel gegen Ulm findet am Samstag zwei Tage vor Heiligabend statt. Ein Freund aus dem Block und ich werden die erste Halbzeit verpassen – mindestens – da wir 15 Kilometer entfernt bei einem etwas früher anfangenden Basketballspiel arbeiten müssen. Die 46ers starten um 20:00 Uhr und verlieren das erste Viertel mit 11:18. Zur Halbzeit steht es 29:37. Etwa als die Spieler in die Kabinen gehen, rasen wir zum Wagen und dann zur Osthalle.Auch unter normalen Umständen hätten wir uns beeilt, keine Frage. Doch wie so viele andere im Basketball-Dorf Mittelhessen erfahren wir bereits in den Stunden vor dem Spiel von der angeblich drohenden Insolvenz. Es fühlt sich falsch an, jetzt nicht in der Osthalle zu sein, obwohl auch die Spieler und meisten Zuschauer auf der Tribüne noch nichts ahnen. In meiner Vorstellung verbreitet sich das durchaus realistische Gerüchte während der 40 Minuten via Mund-zu-Mund-Propaganda. Am Ende wissen eigentlich alle Bescheid, mit Ausnahme des Teams, das nach dem Seitenwechsel zur Aufholjagd bläst.
Wir werden von Sicherheitsleuten aufgehalten, als wir hyperventilierend um Einlass betteln. Längst hat die Kasse für Abendtickets schon geschlossen. Ich kämpfe mit meinen Emotionen, da huscht im Hintergrund Philipp Reuner durchs Foyer. Er wird im Mai als zweiter Geschäftsführer installiert, der insbesondere die finanziellen Geschicke des Vereins im Blick haben soll. Schelberg mimt die Rampensau, Reuner den Mann hinter den Zahlen: Dieses Bild wird sich in den Zehner-Jahren etablieren. Davon ahnen wir nichts, als uns der damals noch junge Absolvent der Uni Koblenz Einlass gewährt. Mit leeren Augen winkt er uns durch. Ein Security motzt, wir rennen in den Stehblock.
Am Ende des dritten Viertels liegt Gießen erstmals seit Spielanfang in Front. Ulm kontert, stellt auf 63:56 fünf Minuten vor dem Ende. Ein persönliches und technisches Foul durch Michael Esterkamp bringen Zazai an die Linie: 4/4, 66:63. Brooks hatte zuvor einen Dreier geworfen, Prowell schickt einen hinterher. Ovcina hält den Sieg aus der Mitteldistanz fest. Zwar bleibt Ulm theoretisch ein Angriff. Esterkamp wird aber zum Verlierer des Spiels und lässt sich den Ball abluchsen. Die Halle gleicht einem Irrenhaus, alle strahlen. Keiner weiß in dieser Minute, dass es der letzte Bundesligasieg des Gründungsmitglieds sein wird. Es ist ein skurriles Bild, wie die Gießener Allgemeine noch am selben Abend schreibt: „Ausgelassen feierten die Basketballer ihren 72:69-Coup gegen Vizemeister ratiopharm Ulm, und der überragede (sic) Spielmacher Achmadschah Zazai stimmte die ‚Humba‘ an. Doch nur auf den ersten Blick sah alles wie ein perfekte vorweihnachtliche Bescherung aus.
Einer, der wenige Augenblicke später gehemmt wirkte und nur gequält lächelte, war Gießens Trainer Mathias Fischer. Denn er wusste zu diesem Zeitpunkt, was Spielern und vielen Zuschauern noch unbekannt war: Die LTi Gießen 46ers haben überraschend einen Insolvenzantrag gestellt und kämpfen jetzt nicht nur ums sportliche, sondern vor allem ums wirtschaftliche Überleben.“
Auch Fischer hatte erst im Rahmen des Spiels von einem Journalisten von der Angelegenheit erfahren. Ein Unding! Doch schnell wird selbst das zur Nebensache. Es sind wilde und verwirrende Weihnachtstage. Im „Abschiedsthread“, der auf SD eröffnet wird, kommen Gerüchte, Spekulationen und viel Emotionen als zusätzliche Gewürze in den brodelnden Topf. Fakt ist, dass das Stellen jenes Insolvenzantrags mit dem sofortigen Abzug von vier positiven Wertungspunkten in der Tabelle einhergeht. Ligachef Pommer zeigt sich „überrascht und irritiert“, Gießen soll und wird aber weiter am Spielbetrieb teilnehmen. Der personelle und damit verbundene finanzielle Aderlass kommt mir wie die finale Strafe vor. Ein um wenige Profis ergänztes Jugendteam muss eine quälend lange Restsaison den Prügelknaben für alle anderen Vereine der Liga geben. Doch ich greife vor.
Es gibt Ungereimtheiten, die in der Weihnachtspause alle auf den Tisch gehauen werden. Allein die Lektüre des Threads im alten 46ers-Forum und seinem Äquivalent auf Schönen Dunk sorgt für Beschäftigung über die Feiertage. Ich nenne nur drei Dinge, die mir damals unter den Nägeln brennen.
(1) Wenige Wochen zuvor lässt sich Schelberg auf der Homepage des Vereins mit seinem neuen Dienstwagen ablichten. Es ist das Symbolbild, das mir lange vor Augen bleibt. Lange brauche ich, um zu verstehen, dass der Termin mit dem Sponsor sicher längst vereinbart war. Und was hätten die 46ers davon gehabt, auch diesen zu verprellen? An Gefühl für den richtigen Zeitpunkt mangelt es dem Office in diesen Tagen aber gewaltig. Haarlem-Allstar orakelt: „Ich vermute, Captain Planet hatte nicht die geringste Ahnung, dass man bei einem Insolvenzantrag vier Punkte Abzug bekommt.“ Ein anderer User schreibt, man solle den Antrag beim Amtsgericht einfach als promilleschwangeren Post-Weihnachtsfeierstreich verkaufen und rückgängig machen. Captain Planet ist übrigens Schelbergs Spitzname. Er bekommt ihn im Zuge einer Marketingkampagne, bei der er die 46ers mit den Elementen Feuer, Wind, Erde etc. in Verbindung bringt. Das erinnert an eine Zeichentrickserie der 90er Jahre. Nur langsam wird sich sein Standing verbessern, im März 2020 wird er mit einer aufwändigen Choreografie verabschiedet: natürlich mit Captain-Planet-Bezug (Quelle: https://www.giessener-allgemeine.de/sport/giessen-46ers/giessen-46ers-kaeptn-geht-bord-13585545.html).
(2) Zu Saisonbeginn leisten sich die 46ers ein Trainingslager. Es ist nicht das erste in der Clubgeschichte. Gerald Wasshuber, der frühere Co-Trainer, hatte das Team einige Jahre zuvor in seine österreichische Heimat geführt. Dort kraxelten die Jungs Berge rauf und übernachteten in der Berghütte seiner Verwandten: eine Low-Budget-Aktion. 2012 verbringen die Gießener aber mehrere Tage in der Türkei.
(3) Das passt genauso wenig ins Bild der klammen Kassen wie die hohe Spielerfluktuation. Zur Erinnerung: Bereits zu diesem Zeitpunkt waren Bonds und Perkovic nachverpflichtet worden. Aller Stinkestiefel-Probleme schien der Kader bereits zu Saisonbeginn alles andere als billig. Vielleicht nicht playoffwürdig, das nicht: aber eben grundsolide. Die Fans schlagen sich seitenweise über diese und andere offene Fragen die Fakten um die Ohren. Ich verfolge das Treiben meist passiv und warte auf den 27. Dezember. An diesem soll eine klärende Pressekonferenz stattfinden.
Tim Schneider wird als Insolvenzverwalter geholt – und er hat Nachrichten auf Lager, die es in sich haben:
„Zumindest dürfte feststehen, dass der als Sanierer geltende ehemalige Geschäftsführer Christoph Syring diesen Titel zu Unrecht trug. ‚In den letzten Jahren ist der Verein nicht saniert und entschuldet worden. Aus den Jahren 2010 bis 2012 bestehen erhebliche Altlasten‘, so der vorläufige Insolvenzverwalter Tim Schneider, der bei einem Verlust von 139 000 Euro in einer Saison nur noch den Kopf schütteln konnte. [Syring wird sich Anfang 2013 darauf berufen, aufgrund vertraglicher Verpflichtungen nicht Stellung nehmen zu dürfen. Er spricht aber von einem aus seiner Sicht verzehrtem Gesamtbild. Wir glauben ihm kein Wort.]
Fast im Minutentakt schlug der Anwalt den anwesenden Pressevertretern Zahlen um die Ohren, die für Aufsehen sorgten: Allein die Sponsorengelder, die aus der laufenden Saison in die letzte Spielzeit vorgezogen wurden, belaufen sich auf mehr als eine halbe Million Euro. Ein Gerichtsvollzieher wurde beim Traditionsverein vorstellig, um ausstehende Beiträge für die Berufsgenossenschaft in Höhe von 127 000 Euro einzutreiben. Insgesamt belaufen sich Altschulden und Verbindlichkeiten auf knapp 900 000 Euro. Eine vollständige Auflistung aller Verbindlichkeiten liegt Schneider jedoch noch nicht vor.
Angesichts dieser Zahlen war die Reduzierung der Bürgschaft durch die Stadt Gießen um 60 000 Euro der Tropfen, der das Fass zum Überlaufen brachte: Die Banken sperrten den 46ers die Kreditkarten und Konten, sodass Insolvenzverwalter Schneider vor der Abfahrt zum Auswärtsspiel nach Weißenfels mit 1300 Euro aus seiner privaten Kasse einspringen musste, um die Fahrt nach Sachsen-Anhalt zu finanzieren.“ (Quelle: https://www.giessener-allgemeine.de/sport/lokalsport/giessen-46ers-existenziell-12085948.html)
Auf Schelbergs langem Weg vom Buhmann zum Aufstiegshelden, der zu Gießen passt wie Literbecher und Turnhallen-Atmo, ist die Syring-Info die erste von vielen Stufen. Mit dem Trip nach Sachsen-Anhalt aber ist das sportliche Tagesgeschäft der 46ers gemeint, das zunächst unbehelligt weiterläuft. Gegner ist der MBC. Wir erinnern uns: Nach zwei Siegen in Folge standen acht Punkte in der Tabelle für Gießen zu Buche. Der Insolvenzantrag raubt den Gießenern deren vier. Die rote Laterne gehört den Mittelhessen, das rettende Ufer ist aber noch in Sicht.
Unter normalen Umständen wäre das Match gegen Weißenfels ein Schlüsselduell. So erwartet das Team am zweiten Weihnachtsfeiertag und nur vier Tage nach dem Ulm-Sieg der nackte Überlebenskampf. Es wird die einzige Partie, in der die 46ers noch eine realistische Chance bis in die Schlussphase haben. Drei Minuten vor dem Ende führen die Gäste, bevor Djordje Pantelic in der Schlussminute die Führung der Mitteldeutschen markiert. Perkovic rettet Gießen an der Freiwurflinie in die Overtime. Dort erwischt Weißenfels den 5:0-Blitzstart. Die 46ers können das Schicksal ein letztes Mal wenden und gehen nach Dreier von Zazai mit 86:84 in Front. Danach ist der Tank so leer wie die Vereinskonten. Mit 88:93 geht es zurück an die Lahn. Aber nicht für lange.
Einen Tag später kommt es zur oben geschilderten PK, vier Tage später geht es schon gen Oldenburg. SD-User DKN42 fragt halb im Scherz, halb besorgt, ob man bei den Donnervögeln Geld für die Anreise der Hessen sammeln müsse. Wie viel Insolvenzstress bei der 86:102-Schlappe mitwirkt, ist unklar. Oldenburg spielt eine grandiose Saison und soll erst im Finale von Bamberg gestoppt werden.
Ausgerechnet ein Spülmittel-Werbespot der 90er Jahre wird in diesen Tag zum geflügelten Wort: Während in Villariba noch geputzt wird, wird in Villabacho schon wieder gefeiert. (Quelle:
) Gießen muss die „fettverkrusteten Pfaffen“ im Bild mit herkömmlichen Waschmitteln säubern. Göttingen ist cleverer und schon wieder in Feierlaune: Die BG war bekanntlich im Vorjahr zweiter sportlicher Absteiger hinter Gießen und steht in der ProA an der Tabellenspitze. Es ist ein weiterer Fingerzeig, dass die zweite Liga für sich noch kein Horrorszenario sein muss.2012 neigt sich seinem Ende zu. Die letzten 9 Tage waren aus 46ers-Sicht mit Sicherheit die längsten davon. Sie waren aber nur Vorboten des totalen Kollapses, wie das finale Kapitel zeigen wird.
Wer das Projekt finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: https://www.paypal.me/sinosprachkulturwang
Mein Dank gilt den bisherigen Spendern. -
Kennst du noch…?
…Martin Kohlmaier?
Der Riese von VillachVerweildauer bei den 46ers: Juni bis Dezember 2009
Spiele für Gießen: 14
Punkte: 50 (3,6 pro Partie)Kontext: Martin Kohlmaier kam in einer Übergangsphase der Basketball-Bundesliga zu den Gießen 46ers. Während immer mehr Teams (gerade mit kleinerem Budget) vom Konzept des klassischen Brettcenters abwichen und mit „kleineren“ Big Men unterm Korb agierten, holten die Mittelhessen 2009 einen 2,17-m-Hünen an die Lahn. Damit war er der längste Spieler der BBL. Der Center kam mit viel Vorschusslorbeeren. 46 Länderspiele hatte der damals 25-Jährige bereits für sein Heimatland Österreich absolviert. Bereits im Frühsommer sicherten sich die 46ers die Dienste Kohlmaiers. Neben seiner physischen Präsenz am Brett und der damit einhergehenden starken Defensive schätzte der damalige Coach Vladimir Bogojevic an seinem Schützling, dass er auch im Schnellangriff agil einsetzbar sei. Stationen in Spanien versprachen die nötige internationale Erfahrung. Wirklich rundlaufen sollte die Saison für den Riesen aus Villach aber nicht.
Wer war Kohlmaier? Den Kontakt zum Alpenrepublikaner stellte Landsmann Gerald Wasshuber her – seines Zeichens damals Co-Trainer der 46ers. Kohlmaier wirkte in sich gekehrt, aber freundlich. Setzte er auf dem Parkett Akzente, konnte er mächtig aus sich rausgehen. Mit 3.6 Punkten und 2.2 Rebounds pro Spiel geschah das aber zu selten. Die Presse über ihn war schlecht. Gerüchte kursierten, die ihm zugeteilte Wohnung verfüge über ein viel zu kurz ausgefallenes Bett. Auch das habe seine Leistung zu Saisonbeginn negativ beeinflusst. Online scherzten die Fans, nannten ihn in Kohlhuber um. (Wegen seiner Körperlänge manchmal sogar „Kohlmaras“, in Anlehnung an den 2,15-m-Mann Robert Maras.) Mannschaftsintern buhlte er mit dem ebenfalls jungen Jannik Freese um Einsatzzeit. Konkurrenz machte ihm aber vor allem die breite Power-Forward-Achse: Kevin Johnsonn, Johannes Lischka, Joe Werner und auch die Guards Mo Jeffers und David Teague griffen beim Rebound beherzter zu – und machte Rotationen mit kleinen Spielern möglich. Kurz vor seiner einvernehmlichen Vertragsauflösung sagte er der Gießener Allgemeinen zu seiner Rolle im Team: „Ich mache genau das, was von mir verlangt wird; also das, was das Team braucht, um zu gewinnen. Und das ist, gut zu verteidigen. Zu punkten wird von mir nicht verlangt.“
Wie die Geschichte ausging: Der 73:72-Sieg über Ulm vor fast genau 10 Jahren war der letzte Einsatz von Kohlmaier im 46ers-Leibchen. 2 Punkte und 3 Rebounds markierte der Riese in 22 Minuten auf dem Parkett. Für beide Seiten – Verein und Spieler – war das unterm Strich zu wenig. Zuvor hatten die Gießener 4 ihrer 5 Spiele gewonnen und den schwachen Saisonauftakt vergessen gemacht. Schlimm wog die Verletzung von Topscorer David Teague einige Wochen später. Am 12.01. reagierten die 46ers und nahmen auf einen Schlag Elvir Ovcina und William Phillips unter Vertrag. Während Guard Phillips eine Eintagsfliege in der Geschichte des Vereins blieb, wurde der direkte Kohlmaier-Ersatz in Gießen über viele Jahre heimisch. Der Österreicher indes kehrte bald in seine Heimat zurück. Bis 2016 spielte er mit Unterbrechung hauptsächlich für den UBC St. Pölten. Schweden (Uppsala Basket, 2010/11) sollte die letzte Auslandsstation des Nationalspielers sein.
Hinweis: Das “Finale” der 46ers-Saga erscheint am Sonntag um 18:46 Uhr. Sehr zeitintensiv. Am Montag erscheint ein Epilog. Danach seid ihr mich los. Danke für die Spenden, ich bin wirklich begeistert.
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2012/2013: Der Kollaps oder: Licht am Ende des Tunnels
Um den Jahreswechsel drehen sich die Diskussionen um die Bürgschaft der Stadt Gießen. In der Allgemeinen heißt es: „Dass die Lichter bei dem Profisportunternehmen LTi Gießen 46ers nicht schon in den letzten Jahren ausgegangen sind, hat auch damit zu tun, dass die Stadt und die Kommunalaufsicht des RP die 46ers bei der Gewährung und Genehmigung der Ausfallbürgschaft seit Jahren als Altfall betrachten.“ Der Verein bittet kurz zuvor darum, die Bürgschaft auch im kommenden Jahr voll weiterlaufen zu lassen. Zunächst war eine Reduzierung um 60.000 Euro (33%) angedacht gewesen.Kurzum: Es sind einfach zu viele offene Flanken. Sportlich bereitet man sich auf das Hessenderby gegen Frankfurt am 5. Januar vor. Ausgerechnet Peacock soll zum Matchwinner beim 79:59 der Skyliners werden. Doch das ist zu diesem Zeitpunkt fast nebensächlich. Immer mehr setzt sich die Erkenntnis durch, dass die 46ers in erster Linie weiter ihre Tore öffnen, um Geld in die mauen Kassen zu spülen. Sofern diese nicht geklaut werden:
Vor dem Derby wird bekannt, dass die Tageseinnahmen des Ulm-Spiels mit mehreren tausend Euro geraubt wurden. Im Vorbericht wird ebenfalls kommuniziert, dass die Verträge mit Bonds und Perkovic Mitte Januar auslaufen. „Es sei in der aktuelle (sic) Situation ein Balanceakt, aber die sportliche und wirtschaftliche Situation ginge Hand in Hand. Man dürfe die Mannschaft nicht so schwächen, dass sie es sportlich nicht mehr schaffen kann“, wird Insolvenzverwalter Schneider in der Allgemeinen paraphrasiert. (Quelle: https://www.giessener-allgemeine.de/sport/lokalsport/fokus-giessen-46ers-nicht-allein-frankfurt-12073554.html). Genau das aber passiert. Frankfurt wäre auf dem Papier ein Mitkonkurrent im Abstiegskampf. Die donnernde Pleite ist ein Fingerzeig. Ab jetzt geht es wirklich nur noch nach unten.
Noch versucht man aber in einen Modus zu schalten, den ich die „normale Krise“ nenne. Erfahrungen darin haben wir zu diesem Zeitpunkt genug gesammelt. Trotzdem klappt das nur halb. Auf der Vereinsseite ruft man am 4. Januar eine weitere Rettungsaktion ins Leben: Das letzte Hemd. „Die Rettungskampagne steht unter dem Motto ‚Das letzte Hemd für die 46ers‘ und richtet sich sowohl an die Bürger als auch die Wirtschaft Gießens und der Region. Mit dem ‚letzten Hemd‘ ist dabei in erster Linie eine Geldspende gemeint. Außerdem werden symbolisch getragene Ober- und Unterhemden sowie T-Shirts an einer Wäscheleine – dem ‚Rettungsseil‘ – an der Sporthalle Gießen-Ost flattern. Dazu soll möglichst jeder Zuschauer, egal ob Fan, Sympathisant oder Sponsor, an einem der nächsten Heimspieltage ein Hemd mitbringen und im Fanshop abgeben.“ Das mag heute vielleicht kreativ klingen. Damals und mit all den noch frisch im Kurzzeitgedächtnis gespeicherten Erinnerungen an vergangene Rettungsaktionen schwillt mir beim Lesen dieser Zeilen aber der Kamm. Es geht nicht nur mir so, es sind ambivalente Zeiten.
Beim Derby hängen zwei Spruchbänder über dem Fanblock: „Kämpfen und Siegen“ steht auf der linken Seite, „Nicht lügen & betrügen“ auf der rechten. Die Halle ist voll, die Stimmung gut. Ein Unterhemd wird in die Kamera von
) Schaut man sich die Bilder vor dem Spiel an, spürt man die innere Zerrissenheit der Anhänger. Ja, wir misstrauen euch und ja, die Situation ist desolat. Aber wir wuppen das, wir haben es noch immer geschafft. Die 46ers sollen und werden das überleben. Einer für alle, alle für …Nach dem 59:79 gegen Frankfurt ist davon nichts übrig. Die Derbyschmach ist unser Ground Zero. Es stellt sich die Erkenntnis ein, dass das Team ab jetzt chancenlos sein wird. Erinnerungen werden wach: Vor acht Jahren stehen wir auf der anderen Seite der Geschichte. 2005 meldet Würzburg Insolvenz an. Während wir gerade eine Siegesserie mit einem Blowout über die Skyliners krönen, werden die Franken zur Schießbude der Liga. Wir gewinnen nach einem lockeren Auf Galopp damals mit 92:69. Würzburg ist emotional wie mental abgemeldet. So macht es keinen Spaß. Mitleid ist eine Gefühlsregung, die im Sport alle Signalglocken schrillen lässt.
2013 werden wir Würzburg 2.0.
Denn es ist das eine, über die Niederlagen in der Fremde zu lesen, aber eine andere, sie selbst mitzuerleben. 17:9 führt Frankfurt nach zehn Minuten. Zur Halbzeit steht es 29:48, vor dem Schlussviertel 42:68. Bei Gießen sind (noch) alle an Board, aber nur körperlich. Nach dem Spiel sitzen wir wie ein Häufchen Elend auf den schmutzigen Stufen des Fanblocks. Plötzlich kommt Skyliners-Spieler Marius Nolte auf uns zu.
Glaubt es oder nicht: Der Power Forward ist in Gießen sehr beliebt. Einige Jahre zuvor testen die Südhessen im September gegen Chuck Eidsons damaligen Club Maccabi Tel Aviv. Wir nehmen das zum Anlass, in Scharen zum Spiel in die Bankenmetropole zu reisen. Während Eidson danach Autogramme schreibt, trippeln wir – ein Freund, meine damalige Freundin und ich – zu Nolte, der auf der anderen Seite der Trainingshalle steht. Mir wird eine Ähnlichkeit mit Nolte nachgesagt, eigentlich wollen wir nur schnell ein Foto fürs Studi.VZ machen. Nolte stimmt dem Bild aber nicht nur zu. Er freut sich auf dem Schnappschuss fast mehr als wir, strahlt und hält mit uns einen lockeren Plausch. (https://share-your-photo.com/425f779576) In den Folgejahren werden wir immer mal wieder mit ihm Kontakt aufnehmen. Daher ist das, was im Januar 2013 passiert, zwar kein Wunder, aber doch bemerkenswert:
Vorsichtig erkundigt er sich über den Stand der Dinge. „Alles kaputt“, „Alles vorbei“, „Alles egal“ – in diese Richtung tendieren die Antworten. Er zückt einen Fünfziger und sagt, er wolle das gerne spenden. Wir erklären, dass es dafür wohl zu spät sei und lehnen dankend ab. Es ist unser emotionaler Nullpunkt, an dem jede Aussicht auf Verbesserung illusorisch scheint. Nolte merkt das und nimmt es uns nicht krumm. Er legt den Schein auf die Tribüne, zuckt traurig mit den Schultern und sagt: Dann nehmt es halt für Bier.
Gegen Hagen einige Tage später verlieren die fast noch vollzähligen 46ers nach hoher Führung. Knackpunkt ist das Schlussviertel. Die Starting Five ist an guten Tagen noch konkurrenzfähig. Das Qualitätsgefälle dahinter aber ist zu steil. Berlin macht beim 83:69 nur das Allernötigste für die zwei Punkte. Auf Schönen Dunk beschäftigt man sich mit den Seilschaften im Hintergrund, etwa der Frage, ab wann Schelberg eingearbeitet wurde, warum es zum Finanzkollaps erst Ende des Jahres kam und so weiter. Sportlich wird diskutiert, ob Gießen im Falle einer Insolvenz einfach aus der Tabelle fliegen würde oder die Saison zu Ende spielen dürfte. Der geprüfte Account der BBL bezieht persönlich im Thread Stellung und schreibt: „Gegenüber der GAZ wurde von uns die Aussage getätigt, dass ein insolventer Verein durchaus die Saison zu Ende spielen kann. Insofern ist die Aussage, dass der Klub bei einer Insolvenz (automatisch) als sportlicher Absteiger geführt würde, falsch. Fakt ist: Auch ein insolventer Klub kann den sportlichen Klassenerhalt schaffen, sofern er die Saison komplett zu Ende spielt.“
Mitte Januar kommt es zum ausführlichen Fantalk in der Osthalle. (Quelle: https://www.giessener-allgemeine.de/sport/lokalsport/giessen-46ers-liegen-zusagen-ueber-euro-12073682.html). Schelberg, zwei Gesellschafter und Schneider stehen fast drei Stunden Rede und Antwort. Der Geschäftsführer stellt die finanzielle Rettung vor der Insolvenz in Aussicht, noch würden aber Gelder fehlen. In Erinnerung bleiben mir vor allem die flammenden Appelle von Teamarzt Wolfgang Leutheuser, der auf die Abgangswelle blickt, sich gleichzeitig aber wie eine Löwenmutter vor die Nachwuchsspieler stellt, die die Lücken schließen sollen. „Das sind gute Jungs. Warum sollen die nicht gewinnen?“, faltet er einen Fan sinngemäß zusammen, der fragt, ob das Unterfangen sportlich auch nur halbwegs Sinn ergibt. Mich rührt das in diesem Moment zutiefst, auch wenn der Fan Recht behalten soll. Unterm Strich glückt dem Gespann aber der Drahtseilakt. Irgendwie schaffen es Schelberg und Co., alle ein letztes Mal ins Boot zu holen und auf die schwierigen Monate einzustellen. Alle Hoffnungen ruhen jetzt auf einem Neustart in der ProA. Gespielt wird trotzdem weiterhin.
Brooks, Perkovic und Prowell ziehen von Dannen, gegen Tübingen (71:107) stehen erstmals Jonas Weiser, Dominik Turudic und Robin Pflüger längere Zeit auf dem Parkett. Nachverpflichtet wird zudem Sharaud Curry. Ende Januar werden dem Verein zwei weitere Punkte abgezogen. Dafür steht fest: Gießen mussdarf die Saison mit dem Rumpfkader zu Ende spielen. Sport1.de erklärt:
„Zu diesem Ergebnis kam der Lizenzligaausschuss der BBL nach Auswertung der eingereichten Unterlagen. Da der Klub jedoch gegen die Mitteilungspflicht verstoßen hat, werden ihm zwei weitere Punkte abgezogen. Somit weist der Tabellen-18. nunmehr 2:30 Zähler auf. (…) Am 21. Dezember 2012 hatte der Verein einen Insolvenzantrag beim Amtsgericht Gießen gestellt. Nötig wurde dieser aufgrund einer Liquiditätslücke in Höhe von 360.000 Euro zur Sicherstellung des laufenden Spielbetriebs. Wie der Verein am Dienstag mitteilte, hätten ihm feste Zusagen über die Schließung dieser Liquiditätslücke vorgelegen. Nach der positiven Nachricht verkündete der Klub auch die Verpflichtung von Moris Sharaud Curry bis zum Saisonende. Der 25 Jahre alte Guard spielte zuletzt beim Mitteldeutschen BC und absolvierte dort in der laufenden Saison 16 Spiele.“
Gegen Ludwigsburg verliert man mit 54:95, Artland siegt zu Hause 107:65. Man könnte meinen, Gieße spiele zu diesem Zeitpunkt vor maximal 1000 Zuschauern. Doch so ist es nicht: Bereits jetzt schält sich der harte Kern heraus, der dem Verein auch in der ProA die Treue halten wird. Es ist wie eine Beerdigung in vielen Etappen. Für die Frust-, Trauer- und Wutbewältigung ist das gar nicht das Schlechteste. Im Vergleich zur Horrorweihnacht herrscht Klarheit: immerhin. Die zweite Liga ist jetzt das erklärte Ziel, nicht das drohende Aus. Die Niederlagen werden hingenommen. Die 2600 Zuschauer, die Ende Februar gegen Trier in die Halle kommen, werden für ihr Durchhaltevermögen (fast) belohnt.
Das Rumpfteam führt beinah zwei Viertel lang. Erst im Schlussabschnitt ziehen die Gäste das Tempo an, gewinnen aber nur mit 77:72 gegen ein Team, bei dem nun Randall Hanke auf dem Parkett steht. Hartnäckig hält sich das Gerücht, Hanke würde mit Salatgutscheinen bezahlt. Nach 14 Spielen für die 46ers zieht es ihn nach Skandinavien, wo er noch bis zuletzt aktiv war. Auf SD spricht man jetzt verstärkt über die Lizenzanforderungen der ProA, die für uns Neuland ist. Das Ende des Winters ist in Sicht.
Bonn nimmt mit 94:56 Revanche, der MBC siegt in der Osthalle mit 89:76. Noch ein Spiel gewinnen, egal wie, sagen wir uns. Das wäre ein finales Bonbon. Der FCB macht mit 116:59 kurzen Prozess. Es ist einer der höchsten Heimsiege der Bundesligageschichte. Gegen Braunschweig führen wir zur Pause knapp, bevor die Phantoms nach dem Seitenwechsel schnell enteilen. Bamberg düpiert den Rumpfkader mit 105:54, ohne sich wirklich anzustrengen. Bei Ulm sieht das Anfang April anders aus.
Mit 100:46 nehmen die Spatzen blutig Revanche für die Hinspiel-Schmach. Nach dem ersten Viertel steht es dabei noch 18:18, zur Halbzeit 36:32. Die zweite Hälfte gleicht dann einem Massaker. John Bryant wird mit 15 (!) Punkten Topscorer. Fast jeder im Leibenath-Team darf sich zweistellig in die Punkteliste eintragen. Das zieht dem Team endgültig den Stecker. Alle verbliebenen Spiele enden mit heftigen Klatschen. Doch der Spielplan kennt Gnade und lost den Mittelhessen ein Heimmatch gegen Oldenburg am letzten Spieltag zu. Fast 2800 Menschen wollen sich die finale Bundesligapartie im 46. Jahr der MTV 1846 Avitos LTi Flippers GIESSEN 46ers ansehen.
Sargträger sind Sharaud Curry, Elvir Ovcina, Dominik Spohr, Andreas Büchert, Jonas Weiser, Randall Hanke, Oskar Faßler, Robin Amaize, Robin Pflüger und Adrian Didovic. Für Ovcina und Faßler wird es ihr letztes Profispiel. Ist das für den Center im Spätherbst seiner Karriere wenig überraschend, klappen bei Faßlers Entscheidung zum Karriereende die Kinnladen im Dutzendpack runter. Als er im Sommer nach Gießen kommt, traut man Faßler einen letzten Angriff auf einen Platz im Nationalteam zu. Zumindest soll er bei den 46ers die Chance bekommen, sich wieder für größere Clubs zu empfehlen. Er ist erst Mitte zwanzig, zieht seine Entscheidung aber durch.
Die letzten Bundesligapunkte markiert Weiser. Amaize‘ spätere Karriere dürfte allgemein bekannt sein. Wir hoffen damals, dass er sich für ein Jahr in der ProA an der Lahn entscheidet. Daran hat der Shooting Guard aber keinerlei Interesse. Ein halbes Jahrzehnt später soll sein Bruder David beim Reserveteam der Rackelos zum Zweitligaspieler reifen: immerhin.
Nicht mit von der Partie ist der verletzte Zazai. Nach der Klatsche gegen Oldenburg leert sich die Halle schnell. Einerseits. Andererseits bleiben hunderte Fans vor allem im Stehblock auf ihren Plätzen und leisten Trauerbewältigung auf Gießener Art. Zazai schlüpft in dieses Vakuum und animiert das Team zu einer letzten HUMBA für die Geschichtsbücher. Ein Gänsehautmoment, den man mit Worten nicht beschreiben kann:
Danach ist Ende Gelände. Mit einer Punktebilanz von 2:60 und einem Korbsaldo von minus 692 steigt der Dino ab.
Diese Geschichte beginnt mit der Analogie zum Hamburger Sportverein, soll aber nicht so enden. Betrachtet man Bilder vom Abstieg des Fußball-Dinos, bleiben die vielen tränenbenetzten Fangesichter vor Augen, die leidend den Abstieg des Bundesliga-Gründungsmitglieds beweinen. Bei uns ist das nicht so. In der Osthalle regiert die Erleichterung. Es ist jener Spirit, der Zweitliga-Basketball in Gießen möglich machen soll. Die Bundesliga-Uhr, welche auf der Vereinsseite die Jahre, Monate, Tage, Stunden, Minuten und Sekunden der BBL-Zugehörigkeit zählt, wird deaktiviert. Im Hintergrund laufen die Planungen für das Ziel: die Konsolidierung in der ProA.
Für uns ist die Saison allerdings noch nicht komplett vorbei. Die außer Konkurrenz dümpelnden 46ers machen es möglich, dass sich einer der spannendsten Abstiegskämpfe der letzten 20 Jahre entwickelt. Alles kulminiert im Entscheidungsspiel zwischen den Fraport Skyliners und Ludwigsburg. Das Match findet einige Tage nach dem Oldenburg-Spiel statt. Wir haben ein neues Ziel vor Augen: den Mitabstieg des hessischen Rivalen in die ProA.
Dutzende Fans machen sich inkognito (sprich: ohne 46ers-Bekleidung) auf in die Ballsporthalle und mischen sich unter die angereisten Ludwigsburg-Fans. Erst verhalten wir uns reserviert und gliedern uns in die hinteren Reihen ein. Frankfurt ist aber die spielbestimmende Mannschaft. Einfach Zugucken und Hoffen ist nicht. Wir gehen in die vorderste Reihe, besetzen verwaiste Trommeln und stimmen Schlachtrufe an.
Ludwigsburg kämpft sich zurück ins Spiel. Die Schlussphase verläuft unglücklich, viel hätte für ein Comeback nicht gefehlt. Unsere reingeschmuggelten Sektflaschen und Konfettikanonen bleiben unbenutzt. Statt selbst den Abstieg der Skyliners zu feiern, werden wir zu Zuschauern der Frankfurter Party. (Eine Wildcard hält Ludwigsburg in der Liga.)
Die Saison ist für uns jetzt endgültig zu Ende. Es ist der finale Kollaps. Doch das Licht am Ende des Tunnels ist zu erahnen.
Was danach geschah:
Heiko Schelberg blieb dem Gießener Basketball als Geschäftsführer erhalten und holte Trainer Dennis Wucherer an die Lahn. Bereits im ersten ProA-Jahr qualifizierten sich die 46ers für die Playoffs, scheiterten erst im Halbfinale an Göttingen. Ein Jahr später folgte mit der Zweitligameisterschaft der erste Titel seit 1979. Danach etablierten sich die Gießener erfolgreich in der BBL: zunächst unter Wucherer, dann mit Ingo Freyer. Mit John Bryant und Brandon Thomas konnten zwei Spieler langfristig an den Verein gebunden werden. Die 46ers gelten als entschuldet.
(Diese Zeilen sind ein Jahr alt.)
Vielen, vielen Dank an alle stillen Mitleser und Spender. Bleibt gesund!
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Vielen lieben Dank für diese Nostalgie! Diese Video Belege haben mir Gänsehaut gebracht, natürlich hab ich mir danach erstmal das Aufstiegsspiel in Nürnberg und die Meister Feier daheim angeguckt haha! Vielen vielen Dank! Hoffentlich können wir bald wieder in die Halle… vermisse den Stehblock
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Ich hab das HUMBA-Video mit Zazai gerade selbst noch mal komplett angeschaut und bemerkt, dass Fassler am Ende ja tatsächlich sein letztes Hemd (Trikot) gibt (verschenkt). Das war wirklich ein “Abgang mit Stil”. Gut, dass das auf YT archiviert wurde.
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Toller Stoff für die Quarantäne, auch als Außenstehender wirklich schön zu lesen (zumal das Thema Insolvenz bekanntlich auch in Hagen eine gewisse Dauerpräsenz hat )
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Good job, Deissler!
Als glühender HSV-Fan wollte ich noch anmerken, dass es wohl mehrheitlich Tränen der Erleichterung waren, die beim letzten Erstliga-Heimspiel gegen Gladbach im Volkspark und vor den TV-Geräten vergossen wurden. Das jahrelange Leiden war zu diesem Zeitpunkt längst in eine Art Aufbruchstimmung mutiert. Von daher: kein ganz großer Unterschied zur 46ers-Situation.
Sehr gute Arbeit übrigens auch von den Fans, die den “Spendensauf” zugunsten der 46ers organisiert haben. Ist wohl einiges zusammen gekommen, wie ich gehört habe. Vielleicht kann jemand einen kurzen Bericht posten.
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Noch läuft der “Spendensauf” übrigens: www.paypal.com/pools/c/8nXXuHwzupFür jedes Osterbier zu Hause einen Euro, für jeden Gin zu Hause 2 Euro.Und schon sind alle Probleme gelöst
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Coole Sache, deissler
Habe die Doku einem Kumpel gezeigt, mit dem ich meine ersten Osthallen-Erfahrungen gemacht habe, ungefähr 1982/83. Hat viele Erinnerungen geweckt.
Aus den ersten Jahren sind uns spontan eingefallen:- Der rothaarige Hausmeister, der nach einem Sieg für einige Sekunden das komplette Hallenlicht ausmachte
- Das gnadenlose Auspfeifen von Uwe Sauer, sowie er einen Ball in der Hand hatte (Ende der 80’er)
- Arne Alig und der Fan, der aus einem Tapezier-Quast den Iro von Arne nachgebaut hat (Mitte 90’er)
Weiß noch einer, warum Uwe Sauer so ausgepfiffen wurde. Diese Fanliebe muss man sich auch erstmal erarbeiten…
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Danke. Als Spätgeborener kann ich dazu nichts sagen, aber du hast ja in die Runde gefragt. Mir ist nur die Saison-DVD 04/05 eingefallen, die sich nach dem Sieg über Karlsruhe über Coach Uwe Sauer lustig macht. “Macht seinem Namen alle Ehre…” oder so ähnlich heißt es da aus dem Off.
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Saison zu Ende, nicht abgestiegen. Viel hängen bleiben wird nicht. Positiv vielleicht am ehesten noch die Entwicklung von Pjanic. Viel mehr fällt mir nicht ein. Fast alle Spieler wird es in alle Himmelsrichtung verstreuen, da werden wir kaum jemand wiedersehen. Unter normalen Voraussetzungen wäre ein Cut auf der Trainerposition überfällig, aber was ist schon normal. Wird man sich ja alles nicht leisten können, sofern überhaupt gespielt wird. In 10 Jahren wird man sich noch am ehesten an den Abbruch erinnern und Bryants Zustand. Man kann einen Haken des Vergessens dahintersetzen, nostalgisch wird niemand auf diese Saison zurück blicken. In jeglicher Hinsicht.
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so ist es. gut, dass diese saison (ohne abstieg) zu ende ist. spaß hat das nicht gemacht.
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Es war wirklich keine schöne Saison. Ich selbst habe nur einen Sieg in 9 Spielen gesehen. Nicht, dass die Zahl der Siege das Wichtigste wäre - aber es war eben oft auch die Art der Niederlagen, die frustrierend war: in Bonn, in Frankfurt, in Braunschweig, zuhause gegen Hamburg. Da war zu wenig Spirit im Team. Klar - es gab auch Verletzungsprobleme und Kaderprobleme gleich zu Beginn - aber eben auch einen unfitten John, einen manchmal zu lethargischen Thomas. Pjanic und Kraushaar haben einen ordentlichen Job gemacht, schwanken aber logischerweise. Mit Tiby wurden wir besser - aber nicht gut. Dazu waren die Fans gespalten - es hat einfach keinen Spaß gemacht. Reset bitte - ich hoffe, dass es weiter geht. Spätestens 2021.
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Die Fans werden immer gespalten bleiben, solange Freyer da ist. Der Basketball ist weder attraktiv noch ist ein Konzept erkennbar. Es war ideenlos und das im dritten Jahr in Folge. Dazu kommen die ständigen Ausreden von Freyer und er ist sich anscheinend nie einer Schuld bewusst. Macht er nicht den Gameplan? Trainiert er nicht die Systeme?
Vielleicht ist es jetzt zu teuer den Trainer zu entlassen, aber ihn nicht zu entlassen kann eventuell noch mehr Schaden anrichten. Sollte irgendwann dann auch eine normale Saison 20/21 beginnen, wird es wieder ein konzeptloses Team ohne Defense geben, welches so etwas daher zockt und bei guten Quoten auch mal Spiele gewinnt. Schaut man nach Vechta oder Crailsheim, sieht man, was eben auch möglich ist mit weniger Budget. Schaut man nach Hamburg, sieht man aber auch, was mit ich glaube guten Budget aber auch für ein Mist gemacht werden kann. Letztlich passt Freyer nicht nach Gießen, was wie in den letzten 3 Jahren nun zum Stillstand führt. Und nach der Saison sagen, es bleibt nichts hängen, ist eben nicht schön. Nichtmal aufs Derby hat Freyer eine Vorbereitung und Kampfgeist vermitteln können. -
Nein, ich glaube nicht. Blutleeres Gezocke in Hallen ohne Zuschauer. … um was zu erreichen ? Ich weiß nicht warum die BBL einen solchen Unfug betreibt.Egal, ich finde der Verein hat die richtige Entscheidung getroffen. Mike Koch hat ja nicht gerade einen Einstand nach Maß , aber aus schwierigen Situationen kann man verdammt viel lernen.
Ansonsten: was macht Schelle ? Hat er einen neuen Job ? Ich würde es ihm gönnen. Dürfte aber aufgrund der derzeitigen Situation sehr schwierig sein . -
Ob wir das Fernbleiben der 46ers vom Corona-Turnier anders beurteilen würden, wenn wir von der Leistung des Teams angetan gewesen wären?
Ich muss ehrlich sagen, die Idee von dieser Version eines Saisonendes finde ich gut. Aber man muss doch auch wirtschaftlich vernünftig sein. Und da würde man nun versuchen die Amis wieder einfliegen zu lassen, einen Monat länger Gehälter zahlen und die Unterbringung am Spielort finanzieren.
Das alles ohne Zuschauereinnahmen und nur ein wenig Telekom Geld.
Wir haben aber auch das Glück schon vergleichsweise viele Heimspiele gehabt zu haben.
Sollen daher die machen, die es sich leisten wollen und ich zumindest schaue gerne zu. Die besten 3 bis 4 Teams werden guten Basketball zeigen… -
Auszug aus der GA.
Gießens Headcoach Freyer, der bis zum Abbruch in 20 Spielen sechs Siege und 14 Niederlagen vorweisen konnte und durchaus noch in Abstiegssorgen hätte kommen können, hat noch ein Jahr Vertrag bei den Gießen 46ers. Zusammen mit Koch und seinem Co-Trainer Steven Wriedt wird nun eine neue Mannschaft zusammengestellt. Brandon Thomas, Alen Pjanic und Bjarne Kraushaar haben von der Bundesliga-Stammmannschaft noch gültige Verträge, von allen anderen - auch von Kapitän John Bryant - sind sie ausgelaufen. “Die Agenten bombardieren uns förmlich mit Spieler-Angeboten”, sagt Freyer. Aber keiner weiß zurzeit, wann die neue Saison überhaupt beginnen wird.