David gegen Goliath oder auch die Würzburg Baskets gegen den FC Bayern Basketball. Selten war dieser Vergleich so passend wie für diese Serie, wo die Extreme so weit auseinanderliegen. Die Würzburger haben sich seit Sasa Filipovskis Amtsübernahme im Dezember 2021 von einem Abstiegskandidaten zu einem Playoff-Anwärter entwickelt, trotz sehr bescheidener Mittel und dem Fragezeichen im vergangenen Sommer, ob man ohne Hauptsponsor überhaupt genug Mittel für die BBL bereitstellen können wird. Auf der anderen Seite agieren die Münchner seit Jahren mit dem größten Budget der Liga, stellen Jahr für Jahr den tiefsten Kader und haben seit dieser Saison mit Pablo Laso und Serge Ibaka zwei sehr prominente Gesichter für das Profi-Team. Die Story-Line für diese Serie wird aber die erfolgreiche Saison der Würzburger sein, die sich mit dem letzten Aufgebot dem schier übermächtigen Gegner entgegen stellen. Egal, ob die Serie 3-0 oder 3-2 für die Bayern ausgeht, die Saison der Baskets kann nicht mehr negativ konnotiert werden nach dem Seriensieg über den deutschen Meister ratiopharm Ulm und ein Serienerfolg gegen die Münchner vielleicht die größte Sensation im deutschen Vereinsbasketball.
Die Wolken über dem BMW Park in München dürften überraschend dunkel sein, trotz des letztlich souveränen Halbfinal-Einzugs und Platz Eins nach der BBL-Hauptrunde. Die Erwartungshaltung nach dem letzten Sommer war groß, mit Pablo Laso übernahm, nach drei Jahren Andrea Trinchieri, einer der erfolgreichsten Vereinstrainer der vergangenen Dekade das Zepter in München und brachte, wenn auch etwas verspätet, den ehemaligen NBA Champion und früheren Schützling Serge Ibaka mit. Große Namen für das Projekt in München und dazu ein auf mehreren Positionen runderneuerter Kader mit gleich drei Weltmeistern, machten den FC Bayern von Beginn an zum Top-Favoriten auf die Meisterschaft. Rund lief die Saison aber nicht, frühe und unerwartete Niederlagen in Oldenburg, Braunschweig und Bonn, wechselhafte Leistungen international und der unerklärliche Einbruch im vorletzten Spiel der Saison in Berlin, man hatte nur selten das Gefühl, dass die Bayern am Leistungsmaximum agieren. Auch im Viertelfinale gegen die MHP Riesen Ludwigsburg wirkten die Bayern nie wirklich souverän, oft reichte ein Viertel, um das Spiel in die entscheidende Richtung zu lenken, nur nicht in Spiel Eins, als die Münchner das Spiel im vierten Viertel aus der Hand gaben und sich durch zwei späte Dreier von Andi Obst noch in die Overtime retteten, wo sie trotzdem den Kürzeren zogen. Bleibt die Frage, wann und ob die Bayern in den Playoffs die notwendigen Gänge hochschalten werden, um die erste Meisterschaft seit 2019 unter Dach und Fach zu bringen.
Steil nach oben geht die Formkurve stattdessen bei den Würzburg Baskets, seitdem im Dezember 2021 der Slowene Sasa Filipovski Denis Wucherer beerbte. In der Saison 21/22 führte Filipovski seine Mannschaft aus dem Abstiegskampf zu einem souveränen 12. Rang, im Jahr darauf sahen die Würzburger lange wie ein sicherer Playoff-Teilnehmer aus ehe die Verletzungen zuschlugen und man knapp die Postseason verpasste. In dieser Saison gelang dann der große Wurf, 24 Siege aus 34 Spielen, Rang 5 nach der Hauptrunde und bis zum letzten Spieltag noch mit der Chance auf den Heimvorteil. Filipovski hat ohne Frage dem Würzburger Basketball seinen Stempel aufgedrückt, mit ganz unterschiedlichen Spielstilen, aber mit klaren Prinzipien. Er hat es geschafft, klare Hierarchien in seinen Teams zu etablieren und diesen eine Identität zu geben. Doch auch in dieser Spielzeit blieben die Würzburger nicht von Verletzungen verschont. Otis Livingston, im Vorjahr noch mit Bayreuth aus der BBL abgestiegen, verletzte sich als frisch gebackener MVP direkt im ersten Playoffspiel gegen den deutschen Meister aus Ulm, er wird diese Saison kein Spiel mehr bestreiten können. Nach der Meldung und einer deutlichen 36-Punkte-Niederlage im zweiten Spiel, womit die Ulmer die Serie ausglichen, erkämpften sich die Baskets in der heimischen Halle in zwei engen Spielen den sensationellen Seriensieg. Allerdings unter großen Opfern, Owen Klassen verletzte sich bei einem Foul von Trevion Williams, Isaiah Washington verletzte sich am Knöchel, beide konnten die Serie beenden, doch dürften sie auch die Halbfinal-Serie angeschlagen und nicht im Vollbesitz ihrer Kräfte bestreiten. Dazu verletzte sich auch Julius Böhmer, gerade erst von einer monatelangen Verletzung zurückgekehrt, erneut und wird vermutlich in dieser Saison nicht wieder auflaufen können. Ein herber Schlag für die ohnehin kurze Rotation der Würzburger. Doch die herausragende Saison kann der Mannschaft niemand mehr nehmen und Filipovski wird sein letztes Aufgebot so einstellen, dass sie in der Serie mindestens bis an ihre Grenzen gehen und vielleicht auch über sich hinaus wachsen werden.
Die Personallage:
FC Bayern Basketball: Nick Weiler-Babb verpasste die Viertelfinal-Serie, wird aber im Halbfinale zurück erwartet. Bei Sylvain Francisco ist der Gesundheitszustand unklar, nachdem er sich im ersten Spiel verletzt hatte, während Niels Giffey mit einer Maske auflaufen wird, nachdem er einen Schlag ins Gesicht bekam.
Würzburg Baskets: Für Otis Livingston ist die Saison beendet, bei Julius Böhmer ist eine Rückkehr eher unwahrscheinlich, während Isaiah Washington, Max Ugrai und Owen Klassen angeschlagen die Serie gegen Bayern spielen dürften.
Die Key-Players:
Carsen Edwards ist bisher die alles überragende Personalie in diesen Playoffs für den FC Bayern. Mit seinem Scoring trug er seine strauchelnde Mannschaft über weite Strecken der Serie und auch defensiv zeigte er sich nach Spiel 1 verbessert und deutlich engagierter. Findet Pablo Laso in der Pause nicht die richtigen Anpassungen, wird Edwards hochprozentiges Scoring weiter dringend benötigt. Etwas im Schatten des Shooting Guards lieferte auch Isaac Bonga eine überzeugende Vorstellung gegen Ludwigsburg ab. Nach den Ausfällen von Weiler-Babb und Francisco, durfte Bonga wieder vermehrt als Ballhandler agieren und glänzte dort mit seiner Ruhe, cleverem Playmaking und traf seine Dreier hochprozentig. Defensiv stopfte der Flügelspieler etliche Lücken und räumte auf beiden Seiten am Brett auf. Einen wichtigen Beitrag, wenn auch bei weitem nicht so überzeugend wie die beiden vorher genannten Spieler, hat auch Devin Booker zum Seriensieg geleistet. Der Rückkehrer ließ immer wieder seine Dominanz am offensiven Ende aufblitzen und war ein aktiver Rebounder, allerdings wirkte er nicht voll fokussiert und kam defensiv häufiger mal zu spät. Auf seiner neuen Position als Vierer wird er es mit Zach Seljaas zu tun bekommen, der jede defensive Unachtsamkeit eiskalt bestrafen wird.
In Abwesenheit von Otis Livingston ist viel von dessen Verantwortung auch auf den Schultern von Darius Perry gelandet. Der dritte Guard im Würzburger Backcourt hatte vor Livingstons Verletzung die kleinste Rolle der Dreien, musste nun in die größeren Fußstapfen treten und konnte diese in großen Teilen ausfüllen. Nur der Dreier fiel nicht beständig genug und muss in der kommenden Serie besser treffen, damit seine Mitspieler mehr Räume bekommen. Einen Schritt nach vorn muss auch Jevon Bess machen. Der frisch gekürte Verteidiger des Jahres hatte große Schwierigkeiten offensiv einen Impact zu liefern und gerade er, der über 30 Minuten pro Spiel auf dem Feld stehen wird, muss offensiv liefern. Defensiv ist er längst über alle Zweifel erhaben, doch es wird mehr brauchen, um die Bayern richtig zu ärgern. Liefern tut Zach Seljaas regelmäßig und auf ganz hohem Niveau: 17 Punkte bei 77/52/82 Shooting-Splits? Überragend. Der Forward hat sich nicht nur wegen seiner markanten Frisur längst in viele Herzen der BBL-Fans gespielt und war der verlässlichste Scorer seiner Mannschaft in der Viertelfinal-Serie und, nach Livingston, auch in der Hauptrunde. Der US-Amerikaner bringt neben seinem Shooting auch viel Hustle, Kaltschnäuzigkeit und Herz mit in die Partie und ist als Floor-Spacer auf der Vier längst gehobenes BBL-Niveau. Er wird den Münchnern in der Serie sehr weh tun. Schön auch, dass er seinen Vertrag vorzeitig um ein Jahr verlängert hat.
Key-Match-Ups:
Carsen Edwards gegen Isaiah Washington: Zwei unorthodoxe und agile Scorer im direkten Duell. Edwards lieferte gegen Ludwigsburg mehr als man erwarten durfte auf konstant hohem und effizienten Niveau und das Team brauchte das. Für den früheren Boston Celtic könnte die Serie und diese Playoffs seine Breakout-Party in Europa feiern. Diese hat Washington in dieser Saison gefeiert. Wie Livingston stieg auch Washington letztes Jahr mit seinem Team aus der BBL ab, wurde teilweise sogar als kaum BBL-tauglich beschrieben, dieses Jahr ist er ein Eckpfeiler eines BBL-Playoff-Teams. Ob Würfe aus dem Dribbling, Spot-Ups oder über den Zug zum Korb, Washington hat seine Scorer-Qualitäten in Würzburg unter Beweis gestellt und ist mit Perry jetzt dafür verantwortlich, dass die Offensive der Baskets ins Laufen kommt, denn Washington reißt mit seiner Eigenkreation immer wieder wichtige Lücken in der Defensive von denen seine Mitspieler profitieren.
Isaac Bonga gegen Jevon Bess: Mehr Variabilität als bei diesen beiden findet man nicht viel in der BBL und das macht beide Spieler für wichtige Akteure in beiden Mannschaften. Beide stopfen Lücken, rebounden und knüpfen sich in der Regel den besten Offensiv-Spieler beim Gegner vor. Letzteres dürfte in dieser Serie bei Bess etwas weniger werden, denn seine und Felix Hoffmanns Größe werden gebraucht, um die große Forward-Riege der Bayern in Schach zu halten. Allerdings wird Bess auch offensiv wie Isaac Bonga liefern müssen, um die Serie so eng wie möglich zu halten.
Devin Booker gegen Zach Seljaas: Ein Duell zweier sehr gegensätzlicher Spieler. Während Devin Booker auch im vierten Jahr im Bayern-Dress unter den Körben physisch kaum zu stoppen ist, agiert Seljaas primär auf der anderen Seite des Angriffs. Beide stellen so Mismatches für den jeweils anderen dar, Seljaas wird Booker defensiv alleine kaum verteidigen können, Booker Seljaas und dessen Kreise, die er mit seiner Beweglichkeit und Cleverness ziehen wird, kaum einschränken. Ein spannendes Match-Up, was auf beiden Seiten des Feldes für viel Unterhaltung sorgen wird.
Key-Faktoren:
Energie: Die kleine Würzburger Rotation ist für die Halbfinal-Serie noch kleiner geworden, Spieler sind angeschlagen und nun treffen sie auf einen Gegner, der sehr tief ist. Die Baskets brauchen jedes Quäntchen Energie, um die physischen Vorteile der Bayern zu matchen, und die Serie gegen Ulm war mit der kurzen Rotation sehr kräftezehrend. Die Mannschaft von Sasa Filipovski wird ohne Frage ihr Herz auf dem Parkett lassen, doch ohne hohes Energie-Level könnte es schnell zu anstrengend werden, immer den Extra-Schritt mehr machen zu können.
Rebounding: Unter einem niedrigen Energie-Level wird auch das Rebounding leiden und gegen eines der besten Rebounding-Teams in Europa kann das schnell tödlich enden. Die Würzburger sind ohnehin ein eher kleineres Team und mit Owen Klassen ist der beste Rebounder angeschlagen und etwas foulanfällig. Gelingt es den Würzburgern das Rebounding-Duell eng oder für sich zu entscheiden, steigen die Chancen stark an.
Dreierquote: Die Bayern werfen als einziges Team der Liga von der Dreierlinie über 40 Prozent und sind damit das beste Team in der BBL. Auch die Würzburger werfen in dieser Saison wieder viele Dreier und treffen sie hochprozentig. Mit Ibaka steht bei Münchnern ein Big Man unter dem Korb, der nur ungern die Zone verlässt und dann auch nicht sehr gut verteidigt, Würzburg hat mit Welp und Ugrai zwei sehr wurfstarke Big Men im Kader, die diese Schwäche eiskalt bestrafen können. Gelingt es den Baskets, ihre Dreier hochprozentig zu treffen, wird das die Bayern nerven und Lücken in deren Defensive reißen.
Spieltempo: Die größte Krux für die Würzburger liegt im Faktor Pace. Die Mannschaft von Filipovski spielt eine eher langsame Pace, weil man mit Otis Livingston einen Spieler hat, der am Ende der Wurfuhr hochprozentig abschließen konnte, der MVP ist aber verletzt. Bayern spielt die langsamste Pace der Liga und hat defensiv seine größte Stärke darin, seinen Gegner mit seiner Halbfeld-Defensive zu zermürben. Dass Bayern schnell spielen kann, haben sie bewiesen, tut es aber selten und ist defensiv da anfällig. Nur wird es für Würzburg mit der Personallage schwer werden, über 40 Minuten schnell zu spielen und das Risiko, dass ihnen am Ende die Luft ausgeht, ist sehr hoch. Sehen wir in dieser Serie also Up-Tempo-Basketball der Münchner um den Würzburgern schnell den Stecker zu ziehen?