Kader Gießen 46ers 19/20
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2006/2007: Von platzenden Knoten, lügenden Forwards und einer großen Geste
Das Potential des Teams und seiner inneren Bestandteile war da: darüber täuschte auch der mittelmäßige Saisonverlauf nicht hinweg. Während Deutschland im Heim-WM-Fieber vibrierte, diskutierten sich die 46ers-Anhänger die Köpfe lieber darüber heiß, ob vor allem Eidson nicht vielleicht doch zu halten sei – against all odds. Dicht dahinter stehen Campbell und Gavel auf der Wunschliste. Sie gehen alle – zumindest fast.Aus dem Vorjahreskader bleiben nur Florian Hartenstein und Gerrit Terdenge erhalten. Mit Rouven Roessler und Robert Maras werden zwei Deutsche als Stützen des Teams verpflichtet. Als Point Guard soll Obie Trotter das Team führen. Der US-Spieler fehlt zum Saisonauftakt in Ludwigsburg aber. Backup Brian Snider hat Probleme, den Ball über die Mittellinie zu bugsieren. Vor 80 mitgereisten Fans gehen die Gießener mit 56:104 unter. Eine historische Niederlage, die viel über den Saisonverlauf verraten wird. Bei den Ludwigsburgern steht ein 19-Jähriger Guard mit schwer aussprechbarem Namen auf dem Parkett: Achmadschah Zazai. Als das Spiel längst in trockenen Tüchern ist, wird er eingewechselt und lötet den 46ers auch einen Dreier ein. Für Chacha, der Jahre später für Gießen spielen sollte, war es zugleich das Bundesligadebüt. Mehr muss man über die von 80 mitgereisten Fans beobachtete Demontage nicht wissen. Zazais Auftritt haben die meisten ohnehin verpasst. Spätestens ab der Halbzeit war ein Daueraufenthalt am Ausschank verlockender.
Bei den Hessen steht der designierte Go-to-Guy Reggie Moore auf dem Parkett. Der Forward mit der rohen Physis spielt eine starke Vorbereitung, verpasst aber deren Ende aus persönlichen Gründen. Es heißt, seine Tochter sei erkrankt. Da erscheint es nicht verwunderlich, dass der 203-cm große US-Amerikaner zu Saisonbeginn in Ludwigsburg schlichtweg neben sich zu stehen scheint. Der Spieler „mit Scorerqualitäten“, wie ihn sein Coach Stefan Koch noch im Sommer genannt hatte, trifft nur einen von acht Würfen aus dem Feld. Die sechs Abpraller, die er kontrolliert, fangen eher „einen Moore“ als er sechs Rebounds. Mitte Oktober verpasst er das donnerstagabendliche Training und auch einen Pflichttermin am Folgetag. Er wird entlassen – genauso wie Aleksandar Cubrilo, der nach langer Verletzungsmisere einen Neustart in Gießen wagen wollte. Wochenlang baut man darauf, dass beim Serben „der Knoten platzen“ und er dann einer der besten Spieler im Team sein könne. Die Hoffnungen erfüllen sich nicht. Menschlich, so lässt sich Koch zitieren, wäre Cubrilo aber ein Gewinn fürs Team gewesen. Über Moore kann man das nicht behaupten, dessen Causa anders verläuft.
Erst im Spielbericht des Matches gegen Braunschweig, das die 46ers am zweiten Spieltag deutlich verlieren, wird bekannt, dass der Vertrag aufgelöst worden sei. Disziplinarische Gründe werden genannt. Die Konzentration soll nun zunächst dem dritten Spiel der Saison in Bonn drei Tage später gelten. Es gibt aber einen Nebenkriegsschauplatz. Maras ist manchen Fans ein Dorn im Auge. In einem Derby soll er in Diensten Frankfurts den Mittel“hessen“finger gegen, nun ja, die mittelhessischen Fans ausgepackt haben. Auf der Tribüne wird ein Transparent entrollt, das in Text und Layout an das Anti-Aids-Motto angelehnt ist. Kurz gesagt will man dem Centerhünen „keine Chance geben“ (Link: https://www.imago-images.de/search?auswahldb=sport&suchtext=Unmut Luft). Andere Fans schreiten ein und entfernen das Banner rigoros. Im Netz tobt ein hitziges Wortgefecht zwischen den Parteien. Bis es nach Bonn geht.
Via Teletext erfahre ich den Endstand – Gießen verliert mit 66:69 – während meiner Spätschicht im Zivildienst. Erleichterung macht sich breit: Das Team kann Spiele immerhin auch knapp verlieren. Ich starte einen Freudentanz. Mein Kollege raunzt mich mit meinem Ausdruck im Gesicht an, der bares Unverständnis und leichte Sorge um meinen mentalen Zustand signalisiert: „Die haben doch verloren?!“ – „Ja, aber nicht hoch!“ Was ich in der Abgeschiedenheit der Malteser-Zentrale nicht ahne, ist, dass Koch auf der Pressekonferenz nach dem Bonn-Match davon spricht, ein europäischer Topverein habe Moore aus seinem Vertrag herausgekauft. Die Fanseele kocht.
Moore kommt bei Maccabi in Israel unter: Allerdings nicht „Tel Aviv“, sondern Rishon. Gerüchte kursieren, wonach er nicht bei seiner kranken Tochter in den USA, wohl aber bei einem Try-out seines neuen Arbeitgebers war. „Ich bin menschlich enttäuscht. Das Ganze zeugte nicht von viel Charakter“, sagt mit Christoph Berndt der damalige Manager der Gießen 46ers. Bei einer Bilanz von nun 0:8 Punkten ruht das Augenmerk aber auf dem anstehenden Doppelspieltag gegen Bayer Leverkusen und Karlsruhe. Jeder trägt die Binsenweisheit im Herzen: Es müssen Punkte her!
Rössler-Backup Jean Francois haut gegen den Serienmeister A.D. richtig einen raus. Nachdem er zuvor lächerliche 4,0 Punkte pro Spiel aufgelegt hatte, scort er gegen Braunschweig am Freitagabend 21 Zähler bei Fabelquoten. Trotzdem ziehen die Hausherren nach Verlängerung mit 79:84 den Kürzeren: 0:10. Bereits am Sonntag geht es zum Kellerkind aus Karlsruhe. Gießen steht mächtig unter Zugzwang, zwanzig Fans nutzen den dazwischenliegenden Sonnabend aber erst zu einem Trip nach Straßburg. Dort hatte Eidson seine Zelte aufgeschlagen. Der Strahlemann freut sich über den Besuch seiner Fans so sehr, dass er sich das Versprechen abnehmen lässt, am nächsten Tag nach Karlsruhe zu fahren: geographisch ein Katzensprung, symbolisch eine Weltreise. Für die Fans soll Straßburgs Sieg über Cholet der einzige Punktgewinn bleiben, den sie für lange Zeit sehen.
Eidsons Eintreffen in der Europahalle versüßt den Fans vor Ort den Abend nämlich nur kurz. Ab dem zweiten Viertel schwimmen Gießen die Felle davon. Coach Koch interviert mit einer Auszeit nach der nächsten. In einer solchen wendet sich Guard-Hoffnung Ronald Taylor, der wie Campbell aus der zweiten Liga bereits früh in der Saisonvorbereitung an die Lahn gewechselt war, verächtlich ab.
Nach der Partie – die Gäste verlieren mit 61:79 brutal und rutschen auf den letzten Tabellenplatz – kommt es zur Krisensitzung am Spielfeldrand. Eidson, seine Frau Samantha, fast alle noch dagebliebenen Fans: Sie warten auf Koch, der einen großen Vertrauensvorschuss auf seinem Konto hat. Der Trainer kommt und stellt sich geduldig allen Fragen. Ungläubig reagiert er auf den Taylor-Hinweis: Er wolle das auf dem Videoband prüfen. Einige Wochen später kommt es zur Vertragsauflösung. Gegen Alba und Bamberg setzt es die nächsten Niederlagen, deren Erwartbarkeit nichts an der prekären Lage des Clubs ändern.
Erst gegen Bremerhaven glückt der erste Saisonsieg, der wie die Meisterschaft gefeiert wird. Koch verpflichtet den Ex-Lakers-Spieler Danilo Pinnock, der Trier direkt 31 Punkte einschenkt, dann aber schnell die Lust an der mittelhessischen Kleinstadt verliert. Anfang Dezember zieht Koch in seinem dritten Jahr bei den Gießenern die Reißleine. Es übernimmt Ken Scalabroni. Der erfahrene Trainer impft dem offensivschwachen Team die Kunst der Verteidigung ein. Zumindest meistens: Im Rückspiel gegen Bremerhaven starten die Mittelhessen mit einem rekordverdächtigen 0:20. Der Turnaround gelingt trotzdem, Gießen schließt auf Platz 16. Scalabronis größte Leistung bleibt aber, aus Snider einen Bundesliga-tauglichen Aufbauspieler gemacht zu haben. Der US-Boy glänzt zwar nicht, spielt aber solide und hilft dem Team durch seine harte Defensivarbeit. Für die Statistikbücher sei erwähnt, was in Ludwigsburg zum Saisonauftakt keiner für möglich hielt: Snider produziert mehr Assists als Turnovers (1.5 zu 1.2). Nach dem Lahnstadt-Intermezzo beendet er seine Karriere. Heute ist er als Sales Manager tätig.
Scalabroni bleibt Trainer, aber nicht in Gießen. Das letzte Heimspiel steigt gegen Köln. Um viel geht es nicht mehr: Es ist ein blutarmes Auslaufen, die Gäste dominieren. Selbst auf den Rängen. Das ändert sich erst kurz vor Spielende. Längst ist bekannt, dass Scalabroni auf eigenen Wunsch Gießen verlassen würde. „[D]er 50 Jahre alte Amerikaner bekam … einen Abgang, den er hinterher als ‚korrekt‘ bezeichnete. Kurz vor Spielende erhoben sich die 3450 Zuschauer von ihren Plätzen und bedachten Scalabroni mit großem Applaus“, würde die FAZ schreiben. Der Coach winkt den Fans ein letztes Mal zu: Eine große Geste.
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Zunächst besten Dank für diese umfassende Zusammenfassung , da leben alte Erinnerungen wieder auf, die mir so im Detail nicht mehr präsent waren. Allerdings habe ich die Sache mit Ken Scalabroni in ganz anderer Erinnerung.Es war längst beschlossene Sache, dass Leibenath den Trainerposten übernehmen sollte, der ja in diesem Jahr in Schottland tätig war.
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@Styx2:
Zunächst besten Dank für diese umfassende Zusammenfassung , da leben alte Erinnerungen wieder auf, die mir so im Detail nicht mehr präsent waren. Allerdings habe ich die Sache mit Ken Scalabroni in ganz anderer Erinnerung.Es war längst beschlossene Sache, dass Leibenath den Trainerposten übernehmen sollte, der ja in diesem Jahr in Schottland tätig war.
Jetzt wo du es sagst… Ich hab das aus dem FAZ-Artikel übernommen. Vielleicht handelte es sich um das damalige gesichtswahrende Wording. Aber genau für diese Details ist das Projekt ja schön.
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@Styx2:
Zunächst besten Dank für diese umfassende Zusammenfassung , da leben alte Erinnerungen wieder auf, die mir so im Detail nicht mehr präsent waren. Allerdings habe ich die Sache mit Ken Scalabroni in ganz anderer Erinnerung.Es war längst beschlossene Sache, dass Leibenath den Trainerposten übernehmen sollte, der ja in diesem Jahr in Schottland tätig war.
Bingo. Das war für mich, was viele heute mit wucherer durchgemacht haben.
Ganz große Berichte trotzdem deissler!
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Ich glaube auch, dass Scalabroni eigentlich bleiben wollte und auch darauf gehofft hatte nach der erfolgreichen Rettungsmission.
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Im 46ers-Hallenheft erschien in dieser Saison die Serie “Kennst du noch…?”, in der an (fast) vergessene Spieler der letzten Dekaden erinnert wird. Ein Teil davon stammt von mir. Diese Texte werde ich jetzt ebenfalls alle zwei Tage posten. Viel Vergnügen.
**Kennst du noch… Danny Lewis?
Der „Basketball-Methusalem“**
Verweildauer bei den 46ers: Februar bis Oktober 2008
Spiele für Gießen: 22
Punkte: 123 (5.6)Kontext: Die Saison 2007/2008 war vom puren Überlebenskampf an allen Fronten geprägt. Eine der Baustellen war auf der Guardposition zu verorten. Dort kam hinter (dem soliden) Obie Trotter lange Zeit wenig bis nichts. Kein Wunder also, dass die Gießen 46ers tief im Februar nochmals auf dem Transfermarkt aktiv wurden und einen US-amerikanischen Aufbauspieler an die Lahn holten. Soweit, so gewöhnlich. Lewis aber, der schon bei der Vertragsunterzeichnung 37 Jahre alt war und auf 13 Spielzeiten alleine in Europa zurückblickte, war alles andere als der Normalfall. Der Basketball-Methusalem sollte sich dennoch als wichtiges Puzzlestück im Kampf um den Klassenerhalt entpuppen.
Wer war Lewis? Seine Collegekarriere begann 1989 (!) in der NCAA 2. Es folgten Stationen in Mexiko, England, Israel, wo er mit Ramat Gan Vizemeister und MVP wurde, Polen, Russland (zweimal), Spanien (dreimal) und – Gießen. Danach hängte der aus Michigan stammende Guard die Schuhe endgültig an den Nagel. Zuvor absolvierte er saisonübergreifend 22 Spiele für die Mittelhessen. In Erinnerung bleibt er für seine unkonventionelle Technik, organisierte er den Aufbau doch unter Einsatz seines Allerwertesten gerne halb bis komplett mit dem Rücken zum Verteidiger. Dennoch: Lewis war eine grundsolide Ergänzung und fit wie ein Turnschuh! Beim Match in Paderborn war er die treibende Kraft zum Punktgewinn. Es war kein gewöhnliches Spiel. „Der Bann ist gebrochen. Im 13. Versuch haben die LTi Gießen 46ers erstmals in dieser Bundesliga-Saison ein Auswärtsspiel gewonnen“, hieß es damals in der Gießener Allgemeinen, die dabei unterschlug, dass auch in der vorherigen Spielzeit kaum eine Partie auf fremden Parkett glücklich für die 46ers ausging. Genau genommen war es der erste Sieg in der Fremde seit einem Jahr! Lewis traf in der Schlussphase drei spielentscheidende Dreier und alle vier Freiwürfe. Abgebrüht ließ „die Ente“, wie die Fans ihn nannten, die quirligen Paderborner Guards ein ums andere Mal ins Leere laufen – und hielt den Erfolg so fest. An Übertragungen im heutigen Sinne war damals nicht zu denken: Die 70 mitgereisten Fans feierten das 90:82 wie die Meisterschaft. Im Kampf um den Klassenerhalt war das der entscheidende Punch. Mit einem Heimsieg über Bamberg eine Woche später konnte Gießen sogar nachlegen.
Wie die Geschichte ausging: Obwohl auf der Trainerbank Simon Cote das Erbe von Thorsten Leibenath antrat, wurde Lewis auch für die Saison 2008/09 unter Vertrag genommen. Disziplinarische Gründe sorgten im Oktober schließlich für die vorzeitige Trennung. Was Danny Cornell „The Diamond“ Lewis danach tat, lässt sich nicht rekonstruieren. Vertraut man den gängigen Social-Media-Datenkraken, lebt er heute wieder in seiner Heimatstadt Kalamazoo. Auf den Bildern, die Lewis von sich postet, sieht man einen durchtrainierten und lächelnden (fast) 50-Jährigen. Genauso wird er auch den Gießener Fans in Erinnerung bleiben.
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Lässt sich rekonstruieren: Lewis war danach bei der US-Luftwaffe und mehrfach im Kampfeinsatz in Afghanistan.
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Danny war zwar lahm wie ne Ente, aber dafür abgezockt hoch 3, ich hab ihn deshalb damals gerne spielen gesehen.
Edith fügt noch an: Danke für deine Rückblicke.
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Lässt sich rekonstruieren: Lewis war danach bei der US-Luftwaffe und mehrfach im Kampfeinsatz in Afghanistan.
Krass… danke für den Hinweis.
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Und wer war der Spieler, der Anfang der 70er Jahre - die Hochzeit des MTV - verpflichtet wurde, quasi vom Spielfeld aus von der US-Army eingezogen wurde und wenige Wochen später in Vietnam gefallen ist ? Und da war dann noch Ben MyDonald, dessen linkes Bein 3 cm kürzer war, humpelnd übers Feld lief, aber dennoch gute Spiele ablieferte.Und dann war da noch Doug Roth, bei dem man erst nach der Verpflichtung feststellte, dass es seinen linken Arm nicht richtig bewegen konnte und dennoch eine gute Leistung lieferte bis er sich mit seinem Trainer überwarf.Und dann war da noch Martin Keane, der nach einem Besuch im Woodland Club mit dem Auto ein Verkehrsschild umnietete , Fahrerflucht beging und am nächsten Tag mit seiner Frau entschwunden war !52 Jahre Bundesliga beinhalten schon eine Vielzahl trauriger und kurioser Stories …
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2007/2008: „Was können wir machen?“ – „Nichts…“
Neuer Trainer der Mittelhessen wird ein alter Bekannter: Thorsten Leibenaht kehrt in die BBL zurück. Nachdem er von 2000 bis 2006 in Gießen als Assistenzcoach tätig war, bevor er hauptamtlich die Scottish Rocks in der britischen Liga betreute, wird er nun Cheftrainer. Die starke Rückrunde mag dazu beitragen haben, dass Leistungsträger gezielt gehalten werden. Rössler bleibt genauso wie Terdenge und Trotter. Hartenstein ist – was die Maße anbelangt – zunächst einziger Brettcenter. Corey Rouse, der nach Zahlen beste BBL-Rebounder der Vorsaison, Ed Nelson und eine finale Weiterverpflichtung stehen auf der 4 zur Verfügung. Letztgenannter ist Johannes Lischka, der bereits 2006/2007 einmal eingesetzt wurde und sein BBL-Debüt feierte. Während der spätere Nationalspieler in Lichs Zweitligateam zur Double-Double-Maschine mutiert, ist er in der Osthalle zumeist solider Rollenspieler für zehn Minuten. Lischka ist da gerade 20 Jahre alt.Tory Walker wird ebenfalls als „Power Forward“ geführt. In Cubrilos Fußstapfen will aber auch der Knoten des diesjährigen Langzeit-Rekonvaleszenten nicht recht platzen. Nach nur zwei Einsätzen verletzt sich Walker schwer an Sprunggelenk und Band. Für den Club und vor allem ihn ein Desaster: „Bei seiner letzten Station in Braunschweig hatte er den Großteil der Rückrunde mit einer Bauchmuskelzerrung zu kämpfen. Er hat aber auf die Zähne gebissen und trotzdem gespielt. Die Verletzungen sind ausgestanden, Tory kann und will jetzt wieder voll angreifen. Er passt genau in unsere Vorstellungen“, hatte sich Leibenath in der PM nach der Verpflichtung zitieren lassen. Bitter nimmt sich auch die Handgelenksverletzung von Trotter aus, für den Patrick Sparks an die Lahn gelotst wird. Für Walker kommt Seamus Boxley.
Die Rolle als Potentieller Go-to-Guy wird Michael Umeh ausfüllen: ein vielseitiger Combo-Guard. Gleich im ersten Spiel schenkt er Göttingen 25 Punkte ein. Die Hessen verlieren zwar und gehen auch vier Tage später in Berlin deutlich baden. Gegen Köln ist dann am dritten Spieltag aber endlich wieder Jubeln angesagt: Rössler schießt den Dauerrivalen jener Tage fast im Alleingang ab.
Trotzdem: Den 46ers gelingen bis zum Jahreswechsel nur vier Siege. Immer wieder kursieren Gerüchte, die sich um die finanzielle Aufstellung des Clubs ranken. Anfang 2008 geht Dirk Schäfer an die Öffentlichkeit. Auf Schönen Dunk schreibt User G-Mob: „Insolvenz oder Hauptsponsor? Für Mittwoch ist eine Pressekonferenz angesetzt, in der es ‚um die wirtschaftliche Situation‘ (Geschäftsführer Dirk Schäfer) gehen soll. Ach Du meine Fresse…. jetzt wirds übel…“
Er verkündet, dass bis Ende Februar 200.000 Euro zur Aufrechterhaltung des Spielbetriebs benötigt würden. Die Fans orakeln im Forum, ob die vielen Nachverpflichtungen der letzten Jahre Schuld für die Misere seien. Ein weiterer Faktor dürfte der eingebrochene Dauerkartenverkauf sein. Nach der Erfolgssaison konnte man 2005 um die zweitausend Tickets absetzen. Heuer ist die Rede von sechs- bis achthundert. Es werden Fan-Charity-Aktionen organisiert: Im jüngst abgerissenen Musikkeller Haarlem zapfen die Spieler an einem Sonderabend Bier. Während Trainer Thorsten Leibenath am DJ-Pult Platten auflegt, macht das Gerücht die Runde, wonach Köln ebenfalls Finanzprobleme habe. Spieler und Fans singen auf den Refrain von Seven Nation Army ekstatisch „Alle Kölner sind pleite“.
Gerüchte kursieren im nebligen Dunst des Musikkellers diverse. Eine davon – die Nachverpflichtung des dringend benötigten Brettcenters – war bereits am Nachmittag vor der Sause im HR publik geworden. Die Gießener Allgemeine springt Mittwoch auf den Zug auf, formuliert aber vorsichtig. Der Anzeiger kontert und erklärt, durch den informationellen Durchstich sei die gesamte Abmachung gefährdet. Die Spannung ist mit Händen greifbar, bis Schäfer am 24. Januar Entwarnung gibt: LTi wird Haupt- und Namenssponsor. „Endlich ist die Zitterpartie vorbei. Hoffen wir auf etwas ruhigere Jahre in nächster Zukunft“, kommentiert User Great, dem ein „Watzmann“ vom Herzen gefallen ist. Sogar die Nachverpflichtung eines weiteren Centers wird in Aussicht gestellt. Mit Bill Phillips kommt ein bulliger Innenspieler, der in seinen sieben Einsätzen für die Mittelhessen 13 Punkte und 5 Rebounds pro Spiel erzielen wird.
Finanziell scheint der Verein vorerst konsolidiert. Sportlich aber hält die Talfahrt an. Dezember, Januar und Februar sind von sechs teils krachenden Niederlagen gekennzeichnet. Mitte des Monats geht es zum Krisengipfel nach Köln. Die Domstädter gehen ohne sechs Leistungsträger ins Spiel: Drei haben den maroden Club bereits verlassen, drei sind verletzt. Gegen Yassin Idbihi, Milko Bjelica, Derek Raivio, Marko Keselj, einen blutjungen Philipp Schwethelm sowie die Jugendspieler Jannick Wolter und Davis Martens gehen die 46ers als Favorit ins Match. Eine toxische Ausgangslage.
Das Kölner Jugendteam dreht einen Mini-Rückstand zur Halbzeit und zieht im dritten Viertel davon. Immer wieder verschanzt sich das Heimteam in eine kompakte Zone. Idbihi pflückt 18 Rebounds, davon 11 am offensiven Brett – mehr als das gesamte Gießener Team. 24 Punkte legt der spätere Nationalspieler oben drauf. Die vielen mitgereisten Fans schreien dem eigenen Team entgegen: „Wir ham die Schnauze voll!“ und „2. Liga – Gießen ist dabei!“ Nach dem Spiel Sitzblockade vorm Teambus: Die Stimmung ist weniger aufgeheizt als niedergeschlagen. Ein weiblicher Fan fragt Leibenaht: „Was können wir denn noch machen?“ Der Coach antwortet wahrheitsgemäß: „Nichts.“ Rössler wagt sich ein einer von wenigen Spielern aus dem Bus und stellt sich den Anhängern. Für ihn ist die Lage glasklar psychologisch bedingt. Nur ein Sieg, und die mentale Blockade könne aufgelöst werden. Er soll Recht behalten.
Denn die Trendwende glückt. Eine Woche später wird Ulm zu Hause bezwungen, Phillips schießt die Spatzen mit 25 Zählern fast im Alleingang aus der Halle. Ende März gelingt den 46ers ein Auswärtssieg in Paderborn. Es ist der erste nach gut einem Jahr! Der nachverpflichtete Danny Lewis hält den Sieg mit 16 Punkten in zehn Minuten und einigen wichtigen Dreiern in der Schlussphase fest. Sechs Tage später wird Bamberg zu Hause mit 71:64 aus der Halle gefegt. Es ist der erste Osthallen-Triumph über den späteren Serienmeister, der in den Folgejahren regelmäßig an der Lahn ins Stolpern geraten soll. In erster Linie profitieren die Mittelhessen aber von einem schwachen Trierer und noch schwächeren Jenaer Team. Gießen hält als 16. die Liga.
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sehr, sehr geil!
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Zur Scalabroni-Geschichte: Scalabroni hatte schon zwei oder drei Wochen vor dem letzten Heimspiel gegen Köln in der heimischen Presse verkündet, dass er bei den 46ers über die Saison 2006/07 hinaus nicht weitermacht – vermutlich, weil er Wind davon bekommen hatte, dass sich die damals Verantwortlichen intern wohl auf Thorsten Leibenath festgelegt hatten. Die 46ers verkündeten dann auch ein paar Tage vor dem Köln-Spiel, dass Leibenath neuer Cheftrainer wird. Die Standing Ovations für Ken bei seinem letzten Gang übers Osthallenparkett unmittelbar nach einer derben Klatsche gegen Köln waren dann Gänsehaut pur – hatte er sich nach dem Kraftakt in jener Spielzeit aber auch verdient, war einfach ein geiler Typ!
@ Styx2: Glaube du meinst „Lu“ Jackson. Der spielte 1967/1968 für uns. Soll knapp unter zwei Metern groß und ein ganz schöner „Hüpper“ gewesen sein, agierte natürlich auf Center. War in der US Army, und dadurch kam es ehemaligen Mitspielern zufolge schon mal vor, dass er zu Spielen mit dem Hubschrauber vom Truppenübungsplatz aus Grafenwöhr eingeflogen kam oder er ein nicht ganz so gutes Spiel ablieferte, weil ein gerade zu Ende gegangenes Manöver noch in den Knochen steckte. Nach seiner Gießener Zeit ging er wieder in den Armeedienst in die USA zurück und fiel dann wohl später leider im Vietnam-Krieg.
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Bei manchen Vereinen sind bereits einige der Importspieler abgereist und haben ihre Verträge gekündigt.Wird für die betroffenen Vereine dann schwierig, sollte die Saison weiter gehen. Heute in der Allgemeinen dazu ein Artikel über Bayreuth. Da sind fast alle Amis weg. Bei Göttingen Osetkowski und bei anderen Vereinen wurde das auch schon verbreitet.Bei uns scheinen noch alle an Bord zu sein.
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Petrasek und Gray reisen heute ab.
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Bei manchen Vereinen sind bereits einige der Importspieler abgereist und haben ihre Verträge gekündigt.Wird für die betroffenen Vereine dann schwierig, sollte die Saison weiter gehen. Heute in der Allgemeinen dazu ein Artikel über Bayreuth. Da sind fast alle Amis weg. Bei Göttingen Osetkowski und bei anderen Vereinen wurde das auch schon verbreitet.Bei uns scheinen noch alle an Bord zu sein.
Petrasek und Gray sind weg. Allerdings sollte sich jeder von dem Gedanken verabschieden, hier sei noch an eine Wiederaufnahme der Saison zu denken. Das ist echt das kleinste Problem. Ich sorge mich eher um die politische Führung in Washington und den weiteren Verlauf der Pandemie. Obwohl natürlich keiner wissen kann, wie das ganze in 7 Tagen aussieht, wäre es mir qua Bauchgefühl und Stand heute lieber, sie wären hier geblieben. Wie gesagt, vielleicht lese ich diese Zeilen in einer Woche und lache mich selbst darüber kaputt.
@9Alive: Danke. -
Wir stehen ja gerade mal am Anfang der Epidemie, da ist es völlig unrealistisch, das in den nächsten Wochen irgendwann noch mal der Spielbetrieb aufgenommen werden kann. Die Saison ist definitiv zuende.
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Der Mann, dessen „Knoten“ nicht platzte
Kennst du noch… Aleksandar Cubrilo?Verweildauer bei den 46ers: 114 Tage (Juni 2006 bis Oktober 2006)
Vereine vor seiner Verpflichtung: Partizan Belgrad, Union Olimpija, CSK VVS Samara, NIS Voivodina, Avala Ada, Radnicki Beograd
Minuten, die er für Gießen spielte: 9:27
Punkte (gesamt): 2Kontext: Die Gießen 46ers befanden sich im Sommer 2006 vor einem Jahr des Umbruchs. Während sich das ganze Land an der Fußball-Weltmeisterschaft erfreute, zirkulierten die Gedanken der Gießener Fans (fast) nur um den zukünftigen Kader. Heiß diskutiert wurde in den Basketball-Foren, ob Anton Gavel, Lou Campbell oder gar Chuck Eidson nicht doch ein drittes Jahr an der Lahn verbringen würden. In die Spekulationen platzte die Verpflichtung von Aleksandar Cubrilo.
Wer war Cubrilo? Der im ehemaligen Jugoslawien geborene, groß gewachsene Small Forward galt als Riesentalent, konnte nach einer Verletzung (Kreuzbandriss) Anfang der Nullerjahre sportlich aber nicht mehr Fuß fassen. Dass die 46ers sein letzter Versuch eines Neustarts sein würden, darüber herrschte schon damals kein Zweifel. Der Verein riskierte finanziell wenig. Gleichzeitig dominierte eine Phrase den Sommer in Basketball-Gießen: „Wenn bei Cubrilo der Knoten platzt, dann kann er ein richtiger Steal werden.“ Unter 46ers-Fans wurde der Satz zum geflügelten Wort, wann immer ein Spieler nicht sofort die erwartete Leistung erzielte. Cubrilos Verpflichtung war so nur auf den ersten Blick riskant – und aufgrund seiner Vita im Gegenteil sogar clever: Mit 18 Jahren wurde er in einem vom Krieg noch gebeutelten Land ins Nachwuchsprogramm von Partizan aufgenommen. Nach äußerst erfolgreichen Jahren in Belgrad konnte er einige Nationalspiele für die jugoslawische Nationalmannschaft absolvieren.
Wie die Geschichte ausging: Dass er in Hessen schließlich wie Falschgeld auf dem Parkett rumlief und sich nicht ans Niveau der BBL akklimatisieren konnte, ist vor dem Hintergrund seiner schweren Verletzung verständlich. Die Gießen 46ers sollten Cubrilos letzte Karrierestation sein. Danach schulte er zum Jugendtrainer um – natürlich bei Partizan Belgrad, wo er bis heute aktiv ist. „Grundsätzlich ist es schön, mit den Kindern zu arbeiten“, sagte Cubrilo 2018 in einem Interview mozzartsport.com. Dort kann er nun dem Nachwuchs dabei helfen, den Knoten zum Platzen zu bringen. In der serbischen Hauptstadt ist sein Name bis heute mit den glorreichen Zeiten der 1990er verbunden und daher unvergessen.
Interview mit Mozzartsport.com: https://www.mozzartsport.com/kosarka/vesti/intervju-aleksandar-cubrilo-zamalo-da-snimim-reklamu-sa-rodnijem-iz-mucki/315383
Hinweis: (Freie) Sportjournalisten nehmen gerade eine unrühmliche Vorreiterrolle ein. Sie gehören zu denjenigen, die von der Corona-Krise als erste betroffen waren: Wo kein Sport, da kein Sportjournalismus. Wer dieses Projekt mit einer kleinen Spende unterstützen möchte, kann das hier tun: https://www.paypal.me/sinosprachkulturwang
Bittet spendet nur etwas, wenn ihr es derzeit entbehren könnt. Nachfragen können per PN gestellt werden. Danke und bleibt gesund. -
Kurze Bemerkung von uns: deissler hat die Spendenbitte mit uns abgestimmt. Bitte helft ihm, wenn Ihr es gerade selber könnt.
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Gießen ist gut gerüstet für die Krise:
- Wir haben bereits einen Großteil unserer Spiele gespielt und leiden somit nicht so sehr unter dem Ausfall wie Ludwigsburg
- Wir haben viele Import-Spieler, die nun ihre Verträge auflösen und in die Heimat fliegen. Die Deutschen wollen sicher weiterbezahlt werden, das ist etwa ein Problem für Bonn
- Wir haben bereits mit den Sponsorenverhandlungen für kommende Saison begonnen gehabt vor der Krise, da werden einige Verträge bereits unterzeichnet worden sein. Ich bin mir sicher, einige Vereine waren nicht so früh und werden im Sommer Probleme haben bei der Sponsorenakquise
- Wir haben 35 Gesellschafter, die jeweils noch einmal ca. 15 TEUR ins EK schießen können, da mMn erst 31 von 46 TEUR je Gesellschafter abgerufen wurden. Die zwischenzeitlich verfluchte Gemengenlage ob der völlig unterschiedlichen Meinungen im Gesellschafterkreis rettet uns nun den Arsch!
Ich blicke (nicht absolut, aber relativ) optimitisch in die Gießener Basketballzukunft. Bleibt zu hoffen, dass sich überhaupt 17 Teams finden, die kommende Saison unsere Gegner sein können. Aber wir werden sehr, sehr gute Chancen haben kommendes Jahr.
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Gießen ist gut gerüstet für die Krise:
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- Wir haben bereits mit den Sponsorenverhandlungen für kommende Saison begonnen gehabt vor der Krise, da werden einige Verträge bereits unterzeichnet worden sein.
- Wir haben 35 Gesellschafter, die jeweils noch einmal ca. 15 TEUR ins EK schießen können, da mMn erst 31 von 46 TEUR je Gesellschafter abgerufen wurden.
Bleibt zu hoffen, dass sich überhaupt 17 Teams finden, die kommende Saison unsere Gegner sein können. Aber wir werden sehr, sehr gute Chancen haben kommendes Jahr.
Unterzeichnete Sponsorenverträge nützen Dir nichts, wenn der Sponsor zahlungsunfähig ist. Und es werden nicht alle Unternehmen überleben.
Ja, ist schön, wenn die Gesellschafter erst 31 von 46 TEUR eingeschossen haben. Warum eigentlich? Warum hat nicht jeder seine restlichen 15 TEUR gleich eingeschossen? Dann wäre so ein Rumgeeier wie diese Saison nicht nötig gewesen. Sorry, Kapitaleinlage zeichnen und nicht in der gezeichneten Höhe einlegen, ist non-sense; aber gut, leider gesetzlich zulässig. Was meinst Du denn, wie viele der 46 (wimre) Gesellschafter ihrer Zahlungsverpflichtung auf 15 k nach jetziger Aufforderung nachkommen? Mindestens 30, eher 40 werden irgendwelche Gründe anführen, warum gerade nicht. Ein Teil wird wegen der Krise wirklich knapp bei Kasse sein und existentiell wichtigere Verwendungszwecke als Mäzenatentum und verlorenes Geld im Kopf haben; selbst, die die flüssig sind, werden rumeiern. Der einzige, der einigermaßen etwas durchzusetzen imstande ist, heißt Insolvenzverwalter. Und der wird im Zweifelsfall auch nur und bevorzugt Vergleiche schließen: 3 - 5 T€; und die gehen dann eh an die Gläubiger: Sozialabgaben, rückständige Gehälter, Hallenmiete…. -
Gießen ist gut gerüstet für die Krise:
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- Wir haben bereits mit den Sponsorenverhandlungen für kommende Saison begonnen gehabt vor der Krise, da werden einige Verträge bereits unterzeichnet worden sein.
- Wir haben 35 Gesellschafter, die jeweils noch einmal ca. 15 TEUR ins EK schießen können, da mMn erst 31 von 46 TEUR je Gesellschafter abgerufen wurden.
Bleibt zu hoffen, dass sich überhaupt 17 Teams finden, die kommende Saison unsere Gegner sein können. Aber wir werden sehr, sehr gute Chancen haben kommendes Jahr.
Unterzeichnete Sponsorenverträge nützen Dir nichts, wenn der Sponsor zahlungsunfähig ist. Und es werden nicht alle Unternehmen überleben.
Ja, ist schön, wenn die Gesellschafter erst 31 von 46 TEUR eingeschossen haben. Warum eigentlich? Warum hat nicht jeder seine restlichen 15 TEUR gleich eingeschossen? Dann wäre so ein Rumgeeier wie diese Saison nicht nötig gewesen. Sorry, Kapitaleinlage zeichnen und nicht in der gezeichneten Höhe einlegen, ist non-sense; aber gut, leider gesetzlich zulässig. Was meinst Du denn, wie viele der 46 (wimre) Gesellschafter ihrer Zahlungsverpflichtung auf 15 k nach jetziger Aufforderung nachkommen? Mindestens 30, eher 40 werden irgendwelche Gründe anführen, warum gerade nicht. Ein Teil wird wegen der Krise wirklich knapp bei Kasse sein und existentiell wichtigere Verwendungszwecke als Mäzenatentum und verlorenes Geld im Kopf haben; selbst, die die flüssig sind, werden rumeiern. Der einzige, der einigermaßen etwas durchzusetzen imstande ist, heißt Insolvenzverwalter. Und der wird im Zweifelsfall auch nur und bevorzugt Vergleiche schließen: 3 - 5 T€; und die gehen dann eh an die Gläubiger: Sozialabgaben, rückständige Gehälter, Hallenmiete….Puh, du musst ja richtig Spaß im Leben haben. Man kann alles schwarz zeichnen oder sich wenigstens daran erfreuen, dass es viele Ansätze gibt, warum gerade die 46ers im Vergleich zur Konkurrenz gerade gut da stehen. Muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich für meinen Teil mache mir jetzt ein Bier auf.
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2008/2009: „Es ist doch noch keiner gestorben“
Ich weiß nicht wie es euch im Sommer 2008 ging. Aber bei mir herrschte das Gefühl vor, dass es nach diesen turbulenten Jahren nur aufwärtsgehen könne. Wäre man in Gießen gefragt worden, ob man das Abstiegsjahr 2004 für den Normalfall hielte oder doch eher die Playoffsaison die folgte, nicht wenige hätten sich für Option zwei entschieden.Schnell hätten wir mit Kusshand die Seuchenspielzeit 2005/2006 eingetauscht gegen das, was tatsächlich kommen sollte.
Es bleiben Umeh, Rouse, Terdenge und Lischka, der sich langsam aber stetig zum Leistungsträger mausert und im Schnitt bereits 8 Punkte beisteuert. Florian Hartenstein scheint zu diesem Zeitpunkt längst zum Inventar der Mittelhessen zu zählen. Er spielt eine grundsolide achte Saison, von der im Herbst noch keiner ahnt, dass es seine letzte für die 46ers werden würde. An alte Wirkungsstätte kehrt Schaffartzik zurück, auch Maras wird nach einem Jahr im Ausland reaktiviert. Maßgeblichen Einfluss darauf hat mit Simon Cote der neue Trainer der Gießener, der Jahre zuvor als Assistenztrainer von Maras in Frankfurt tätig war. Der US-Amerikaner an der Seitenauslinie verheißt frische Luft und wird mit Wohlwollen willkommen geheißen. Jannik Freese rutscht erstmals als Rotationsspieler in den Kader, Danny Lewis bleibt dem Verein ebenfalls erhalten, wird nach acht Einsätzen mit überschaubaren Leistungen aber suspendiert.
Insgesamt scheint der Kader gut aufgestellt, wenngleich für einen Playoff-Run wirklich alles passen müsste. Die ersten beiden Partien konterkarieren diesen Eindruck. Mit 64:91 scheitern die 46ers zunächst in Oldenburg, bevor Alba den Gießenern in der Osthalle im Schlussviertel auf 81:66 enteilt. Dass die 46ers gleich zu Beginn gegen den späteren Meister Oldenburg und Berlin, den Hauptrundenersten der Saison, ranmüssen, ist da noch nicht abzusehen.
Bei den Artland Dragons stehen die Mittelhessen am dritten Spieltag somit einmal mehr unter Druck. Ich steuere meinen Daihatsu Cuore besetzt mit befreundeten Fans nach Quakenbrück. Ein Bus kam nicht zustande, knapp zwanzig Anhänger der Gießener sind aber bei den Enten zugegen. Bei diesen steht Thorsten Leibenath an der Seitenauslinie. Er hatte seinen Vereinswechsel bereits im Juni verkündet. Die zuvor erfolgsverwöhnten Niedersachsen sollen eine für damalige Verhältnisse durchwachsene Saison erleben, obwohl der Kader durchaus playofftauglich scheint. Gegen Gießen versteifen sich Adam Hess, Lamont McIntosh, Chad Prewitt und Co. aber zu sehr auf ihren Distanzschuss und scheitern ein ums andere Mal. Bis ins dritte Viertel: Immer wieder bringen spektakuläre Dreier die Halle ins Spiel und lassen uns Gästefans verstummen. Im Schlussviertel bäumen sich die Gießener heroisch auf und drehen das Match fast noch. Schaffartzik trifft in der Crunchtime nur einen von zwei Freiwürfen, Terdenge versemmelt den vermeintlichen Gamewinner mit der Sirene: 68:69 verliert das Team. Mal wieder. Schon wieder. Nicht schon wieder.
Ich kann mich an keine Niederlage erinnern, die mir mehr in den Klamotten kleben bleibt. Die Auswärtsmalaise haftet den 46ers wie Pech an den Sohlen. Ein Quakenbrücker Fan bekommt meinen aufgestauten Frust zu spüren. Ich herrsche ihn an, als er mich eigentlich nur trösten will. Nein, es fliegen keine Fäuste und auch keine Schimpfwörter. Trotzdem plagen mich auf der gesamten, elendig langen Rückfahrt Gewissensbisse. Als Dauerauswärtsfahrer jener Zeit tröste ich mich heute mit dem Gedanken, dass jener Quakenbrücker immerhin nicht annähernd so viele demoralisierende Klatschen in der Fremde mitansehen musste, wie ich. Wie wir.
In Tübingen verlieren die Gießener wenigstens zweistellig, bevor Schaffartzik seinen Farben am fünften Spieltag den ersten Saisonsieg gegen Bonn per Buzzerbeater beschert. Bei noch sechs zu spielenden Sekunden steht es 67:67. Cote bezieht in der Presskonferenz nach der Partie Stellung dazu, was sich in diesen abspielt: „Heiko hat in unserem letzten Angriff einen ganz schwierigen Schuss getroffen. Eigentlich hatten wir in der Auszeit etwas Anderes geplant: Gerrit (Terdenge) sollte einen Block für Heiko stellen, dieser daraufhin penetrieren und den Ball dann zu Gerrit passen, der den letzten Wurf nehmen sollte. Okay, Heiko hat sich dann dazu entschieden, dieses System zu verweigern (lacht). So ist Basketball halt, Spieler entscheiden Spiele! Warum wir Heiko im Sommer verpflichtet haben, hat er heute gezeigt. Er ist ein Gewinnertyp, ein Spieler, der diese entscheidenden Situationen sucht.“
Die sportliche Talfahrt scheint gestoppt, da tun sich andere Flanken auf. Kurz zuvor wird bekannt, dass der Verein mit 500.000 Euro hochverschuldet ist. Christoph Syring wird als Insolvenzverwalter installiert, Dirk Schäfer zum Vertriebsleiter degradiert. Eine „Retterkarte“ wird ins Leben gerufen, um Geld in die Kassen zu spülen. Die Fans zeigen sich erneut solidarisch und kaufen das Ticket, bei dem es sich im Grunde um eine verspätete Dauerkarte handelt.
Pech und Unvermögen werden zu allem Überfluss mit Inkompetenz gewürzt. Mitte November kommen staugeplagte 46ers um Stunden verspätet zum Auswärtsspiel in Ludwigsburg, die die Partie am grünen Tisch mit 1:0 gewinnen. Viel zu spät hatte sich der Teambus auf den Weg gemacht. Jens Gehlhaar, Sportdirektor des Vereins, ist nicht mehr lange zu halten. Auch in der überregionalen Presse wird Gießen zur Lachnummer. Auf Schönen Dunk schreibt sich User shumway seinen Frust von der Seele: „Es ist einzig und allein Sache des Auftraggebers, also der 46ers, hier in Form des Sportdirektors Gelhaar, zu entscheiden, wann, und wohin gefahren wird. Insofern MUSS dieser Herr die volle Verantwortung tragen. Es ist eine bodenlose Frechheit sich hier drücken zu wollen und die Verantwortung auf Weisungsempfänger abzuwälzen! Selbst wenn der Busfahrer vorgeschlagen hat auf der Autobahn zu bleiben und in den Stau zu fahren, die ENTSCHEIDUNG und VERANTWORTUNG lag bei Herrn Gelhaar.“
Neben der monetären Hypothek müssen die 46ers nun auch mit einer Sternchenwertung in der Tabelle leben. Zum Rückspiel reisen für das entfallene Heimspiel entschädigte Ludwigsburger auf 46ers-Kosten in Scharen nach Gießen – und verhöhnen die da bereits akut abstiegsbedrohten Lahnstädter. Die Riesen hab gut lachen, war dem MTV dasselbe Missgeschick doch bereits 13 Jahre zuvor passiert. (https://jobstairs-giessen46ers.de/magische-momente-im-golf-diesel/)
Siege über Paderborn und Bremerhaven durchbrechen lange vorher die Verlustpunktserien nur kurz. Nach der Braunschweig-Pleite übernimmt mit Vladimir Bogojevic ein Trainer mit Stallgeruch Anfang 2009 das Ruder. Er schafft das Unmögliche und coacht sein Team zu einem Auswärtserfolg in Düsseldorf. Wir schreiben den 17. Spieltag: Die Liga feiert Bergfest, die mitgereisten Fans die ersten (und letzten) Punkte auf fremden Parkett.
Vor dem Burg-Wächter Castello, der Heimspielstätte der Giants, umringen sie den Messias mit dem wallenden schwarzen Haar. „Aber Vladi, jetzt geht’s gegen Oldenburg und Berlin“, raunzt ein Anhänger der Schwarz-Roten in die Feierlichkeiten. „Soll’n erstmal kommen“, gibt Bogojevic selbstbewusst zurück. Den Worten folgen keine Taten. EWE Baskets und Hauptstädter wischen mit Gießen den Boden. Es folgen zwar zwei Heimsiege gegen Artland und Tübingen. Danach verpufft die anfängliche Euphorie aber. Immerhin die Revanche gegen Quakenbrück schmeckt. Auf den Rängen singen die Fans ihrem Ex-Coach entgegen: „Thorsten ist ein Co-Trainer“ und „Leibe kriegt die Naht“.
70:81 in Bonn, 75:76 in Bremerhaven, 78:81 gegen Ulm und 71:93 beim Überraschungsteam MEG Göttingen, das die Liga mit seinem Guardterror überrollt: Alles fiebert den Duellen gegen Nördlingen und Köln entgegen, die im Kampf um Rang 16 mitmischen. Gießen scheint gute Karten zu haben, handelt es sich doch um Heimspiele. Nördlingen kann in die Schranken gewiesen werden, gegen Köln flattern aber die Nerven.
Die 99ers hatten sich – trotz eigener Finanzprobleme – die Dienste von Michael Hakeem Jordan sichern können. Er führt die Rheinländer zum Sieg nach Verlängerung. Eine Gießener Nachverpflichtung ist es, die die entscheidenden Punkte zur Overtime serviert: Ricky Hickman. Von der Couch seines Buddys Chris Oliver (Göttingen) war der US-Amerikaner an die Lahn gewechselt. Dass der Guard wenige Jahre später zum EuroLeague-Star reifen würde, darauf hätte man im Winter 2009 an der Lahn keinen Pfifferling gesetzt. Gegen Köln aber zeigt „Nemo“, wie ihn die Fans wegen seines Äußeren nennen, eines seiner besseren Spiele. Drei von drei Freiwürfen kurz vor dem Schluss bedeuten eine Overtime, in der sich Not gegen Elend durchsetzt. Die Partie geizt nicht mit Slapstick-Elementen. In der FIVE erscheint wenig später eine „Chronik des Schreckens“, in der die Architektur des Spiels, das zwei Verlierer verdient hat, nachgezeichnet wird. Kann man heute darüber lachen, herrscht nach dem 66:73 – ich wiederhole: n.V. – die kalte Wut. Frustrierte Fans sammeln Kleingeld für Köln-Manager Stephen Baeck und schleudern ihm die Münzen vor die Füße. So solle er Jordan bezahlen. Für Empörung sorgt auch Bogojevic. Der Trainer blickt nach dem Spiel in die entsetzten Gesichter des Blocks – nur ein Wunder kann den Abstieg jetzt noch verhindern – und sagt: „„Es ist doch noch keiner gestorben.“
Fans bleiben aber Fans und krallen sich an die rechnerisch verbliebene Resthoffnung. Der Dino der Liga darf nicht sterben. ProA in Gießen sei undenkbar. Die Losung wird zum Mantra. Gegen Trier, Bamberg und Frankfurt sind die 46ers aber schlicht chancenlos. Nur einer wächst über sich hinaus: Eigengewächs Lischka fehlt ausgerechnet gegen Köln, legt in den letzten sechs Saisonspielen aber 15 Punkte pro Partie aufs Parkett. In Braunschweig entscheidet sich am vorletzten Spieltag, ob nach einem Sieg marginale Chancen zum Klassenerhalt am Leben bleiben. Lischka stemmt sich im Spiel mit drei Verlängerungen energisch gegen das Schicksal, scort 20 Punkte und pflückt 14 Rebounds. Zwei Dreier von Braunschweigs Nils Mittmann bringen die Phantoms auf die Siegerstraße. Gießen steigt – zum zweiten Mal nach 2004 – sportlich ab. Die heimische Presse titelt: „Nach 55 Minuten geht eine Ära zu Ende“. Im Auswärtsblock und auf dem Parkett fließen Tränen.
Wer das Projekt finanziell unterstützen möchte, kann das hier tun: https://www.paypal.me/sinosprachkulturwang
Mein Dank gilt den bisherigen Spendern. -
Der Mann, der sich beim Team-Huddle den Kopf blutig schlug:
Kennst du noch… Vytas Danelius?Verweildauer bei den 46ers: 3.12.2005 - 01.01.2006 / 11.03.2006 - 16.04.2006
Vereine vor seiner Verpflichtung: Wake Forrest College (NCAA), Khimky Moskau
Einsätze für Gießen: 11
Punkte (gesamt): 78Kontext: Die Saison 2005/2006 stand unter keinem guten Stern. Heiko Schaffartzik fiel im Sommer durch die Dopingkontrolle und wurde suspendiert. Chuck Eidsons Bänder rissen in der Saisonvorbereitung. Er fehlte über sieben lange Monate. Der potentiell spektakulärste Neuzugang nach dem Erfolgsjahr 2004/2005 war Terrence Leather. Dieser entpuppte sich leider als Stinkstiefel, die Wege trennten sich nach nur einem Einsatz. In der Folgezeit war die Power-Forward-Position bei den 46ers mehr oder weniger vakant. Chris Anrin und Nigel Moore fühlten sich wohler als Small Forward. Gerrit Terdenge plagten im Dezember Schmerzen in der Hand. Es hieß, er könne den Ball fangen, aber nicht werfen: Suboptimal.
Wer war Vytas Danelius? Die 46ers konnten im November kein Spiel gewinnen. Mit der Nachverpflichtung von Danelius reagierten die Verantwortlichen auf die angespannte Personaldecke. Der litauische Jugendnationalspieler hatte vier Jahre in der NCAA gespielt: Bei Wake Forest stand er neben Josh Howard auf der Platte, der seinerseits in den Nullerjahren lange Zeit mit Dirk Nowitzki bei den Mavericks auflief. Danelius indes bekam im Sommer 2005 keinen Profivertrag. Auch in Gießen war seine Zeit zunächst nur auf einen Monat begrenzt. Im Hintergrund verhandelte man mit Adam Chubb, der im Verlauf des Dezembers tatsächlich kam. Während der spätere Allstar in Diensten Berlins zunächst Akklimatisierungsschwierigkeiten zeigte, bestach Danelius durch seinen unbedingten Einsatzwillen. Trotzdem musste er nach dem Spiel gegen Bremerhaven, das am Neujahrstag 2006 stattfand, seine Koffer packen. Einen weiteren Big Man konnten sich die Lahnstädter schlicht nicht leisten: Tschü lowi.
Wie ging die Geschichte weiter? So richtig kamen die 46ers in der Liga auch in der Folgezeit nicht aus dem Quark, auch wenn das Abstiegsgespenst aufgrund des soliden Saisonstarts eher in der Ferne umhergeisterte. Ganz anders sah es im Pokal aus. Die Qualifikation fürs Top-Four in Bamberg löste in Gießen passend zur Jahreszeit einen basketballerischen Frühling aus. Eidson kehrte zurück. Und auch Danelius konnte für die letzten Saisonspiele wieder unter Vertrag genommen werden. Sponsoren hatten es möglich gemacht, am entscheidenden Viertelfinalspiel gegen Trier war der Litauer wieder beteiligt. Danelius selbst schien auch voller Freude und Tatendrang. Manchmal schoss er aber übers Ziel hinaus. Bei einem Ligaspiel kurz vorm 1. April stieß er sich beim Team-Huddle in der Kabine den Kopf blutig. Das bemerkte er erst, als er unter dem Beifall der Fans in die Osthalle eingelaufen war. Lachend sprang er in die Kabine zurück, ließ sich behandeln und konnte dann wieder mitspielen: ein Aprilscherz der besonderen Art.
Obwohl er nur 11 Spiele für die 46ers tätig war, summt manch einem Fan das eigens für ihn „komponierte“ Lied bis heute im Gehörgang. „Danelius, Danelius, Danelius allez“ wurde seiner Zeit häufig in Dauerschleife skandiert. Von einem Fan jener Tag ist sogar verbrieft, dass er seinen Hund nach dem Power Forward benannte. Im Anschluss wechselte er an die Nordsee zu den Eisbären Bremerhaven. Danach verliert sich seine Spur.
Die Geschichte hinter der Melodie („Danelius alleez“, „Alleez Rot-Weiß“,…): https://de.wikipedia.org/wiki/Auld_Lang_Syne
Hinweis: Als ich bei Lewis schrieb, dass sich die Spur verloren habe, war das eher meiner Faulheit geschuldet. Da habe ich nur fünf Minuten gesucht. Bei Danelius ist das anders, da habe ich längere Zeit drauf verwendet und rein gar nichts gefunden. Vielleicht bin ich blind, in jedem Fall: Wenn Icker oder jemand anderes was weiß, bitte gerne mit Links unterfüttern. Interessiert mich brennend.
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@deissler: Bezüglich Danelius gibt ein Artikel von SB Nation aus April 2019 ein paar Infos:
"Vytas is living in his home country of Lithuania. I reached out to him on Facebook. Here is a portion of his answer: “I played basketball professionally for 3 years in Russia and Germany. I also coached 14years old in Scotland as a volunteer. Right now I’m retired from basketball and am bee farming in Lithuania where I’m originally from. I’m still a huge Wake Forest basketball fan and follow the news on internet.” -
Man kann alles schwarz zeichnen oder sich wenigstens daran erfreuen, dass es viele Ansätze gibt, warum gerade die 46ers im Vergleich zur Konkurrenz gerade gut da stehen. Muss jeder für sich selbst entscheiden. Ich für meinen Teil mache mir jetzt ein Bier auf.
Der Gießener Ansatz, hilfreich in allen Lebenslagen.
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2009/2010: Der Männerschweiß fließt weiter oder: „You are who you know“
Im Prolog habe ich geschildert, dass die Parallelen zum HSV mich dazu motiviert haben, diese Vereinschronik niederzuschreiben. Es sollte deutlich geworden sein, weshalb der Vergleich zwischen Nordlichtern und Schlammbeisern so treffend ist. Tatsächlich gibt es aber einen (beziehungsweise zwei) gravierende Unterschiede. Nach Fußball-Bundesliga-Logik wäre der BBL-Dino 2009 in der Versenkung verschwunden. In der Basketball-Beletage jener Tage gibt es aber eine Deus ex Machina, von der die Rasenschachspieler nichts wissen: Wildcards.Die BBL hat zu diesem Zeitpunkt erst seit wenigen Jahren auf eine 18er-Liga umgestellt und möchte gerne daran festhalten. Gleichsam ähnelt die damalige ProA strukturell eher der heutigen ProB. Zwölf der sechzehn Clubs spielen im Schnitt vor unter 1500 Zuschauern – und das teilweise deutlich. Lich steigt synchron mit den 46ers in diesem Frühjahr in die dritte Liga ab. Für Gießener Basketball-Fans ist die Dietrich-Bonhoeffer-Halle der Wetterstädter ein Schaufenster in die zweite Liga. Und kein schönes: Lich dümpelt vor 490 Zuschauern in die Bedeutungslosigkeit. All das muss man wissen, um zu verstehen, warum man an der Lahn das Mantra lebt, wonach ProA und 46ers schlichtweg nicht gingen.
Dies macht zugleich verständlich, warum die Wildcard-Option auch für die Fans – von Haus aus Sportromantiker – so verlockend ist. Außenstehende ätzen mit Verweis auf die Saison 2003/2004 und die vermeintliche Tatsache, dass Gießen nur fünf Jahre später die zweite Wildcard an Land ziehe. Wir sehen das anders. Während die 46ers in der Abschlusstabelle 2009 bis zum heutigen Tag auf einem Abstiegsplatz geführt werden, wurde ihr Äquivalent des Jahres 2004 nachträglich geändert (Quelle: https://de.wikipedia.org/wiki/Basketball-Bundesliga_2003/04#Hauptrunde). Der kuriose Anblick der Tabelle bekommt vom leidtragenden MBC Weißenfels einen Namen: Lex Gießen. Die Liga hatte den Wölfen qua Insolvenz nachträglich die Lizenz aberkannt.
2009 sind es andere Vereine, die am Schicksal drehen: Nördlingen und Köln streichen in der Sommerpause die Segel. Ein Wildcardverfahren wird angestrengt. Liga-Chef Jan Pommer bescheinigt dem Traditionsclub in einem anrührenden Bewerbungsvideo, zur DNA der Liga zu gehören (Quelle:
). Bei Körners Aussage zum Männerschweißverlust der letzten vierzig Jahre kriegen wir Gänsehaut. Beim letzten verbliebenen Gründungsmitglied der Liga keimt eine „Jetzt erst Recht“-Stimmung. Als sich die Liga für Gießen entscheidet, treffen wir uns spontan vor der Osthalle und feiern.Zu Saisonbeginn hagelt es trotzdem Niederlagen am Fließband. Erst am neunten Spieltag wird Paderborn bezwungen. Angeführt wird das Team von David Teague: Ein streaky shooter, der die Liga nach Punkten anführt. Im Oktober müssen die Gießener Maurice Jeffers nachverpflichten. Der vielseitige Forward pflegt mit den 46ers jener Tage eine On-Off-Beziehung – beziehungsweise umgekehrt. Mehrmals wird das Schweizer Taschenmesser zurück an die Lahn geholt. Zwei Siege in Folge Mitte Dezember lassen die Mittelhessen hoffen, bevor Teague zur Saisonhälfte verletzungsbedingt bis an deren Ende ausfällt.
Der Kader ist nicht gerade tief besetzt. Center-Hoffnung Martin Kohlmaier enttäuscht und wird ausgewechselt. Auf Power Forward sind die 46ers mit Kevin Johnson und Joe Werner undersized, obwohl beide alles geben. Oft hilft Lischka aus, der statistisch aber stagniert. Hartenstein wurde durch sein jüngeres Pendant Jannik Freese ersetzt, der nun fest den Backup mimt. Im November empfangen die Gießener Hartensteins neuen Club Quakenbrück. Die 46ers hatten ihn nach Meinung der Fans nicht würdig genug verabschiedet. Zeit also für einen Gänsehautmoment: Als die Vereinslegende auf dem Parkett vor dem Spiel Blumen in Empfang nimmt, skandiert die Halle mit ohrenbetäubender Laustärke seinen Namen. Sportlich spielt Hartenstein im Artland keine große Rolle mehr, wird aber in den Nachwuchsbereich eingebunden. Dort führt er seinen Sohn Isaiah behutsam an den Profibereich heran.
Im Dezember verlernen die Mittelhessen das Siegen. Bamberg, Bonn, Hagen und der MBC triumphieren. Am 8. Januar 2010 kommt es zum ersten Hessenderby des neuen Jahrzehnts. Beim Stand von 68:69 bekommen Johnson und zuvor Jeffers zwei Abschlusschancen Sekunden vor dem Ende, vergeben aber. Die meisten Fans wollen ein nicht geahndetes Foul der Skyliners gesehen haben. Ich bin nicht komplett bei der Sache. Für ein Uni-Projekt nehme ich die Schlachtrufe beider Fangruppen auf, um sie danach sprachsoziologisch auszuwerten. Forschungsgeschichtlich ein Furz im Wind, persönlich eine „musikalische“ Zeitkapsel:
60mal buhen und pfeifen die 46ers-Anhänger während der Partie, 36mal skandieren sie „Gießen“, 9mal „Let’s go Gießen“, 8mal „Auf geht’s Gießen, kämpfen und siegen“. „There’s only one Joe Werner“ wird bemerkenswerte dreimal skandiert, vor dem Spielbeginn singt die ganze Halle „You’ll never walk alone“ – eine Tradition, die einige Zeit beibehalten werden wird (Quelle:
). Jeweils einmal werden schließlich folgende Gesänge angestimmt:S -
Der Mann mit dem Stirnband: It’s magic
Kennst du noch… John „Mookie“ Thomas
Verweildauer bei den 46ers: Saison 2003-2004
Vereine vor seiner Verpflichtung: St. Francis University (USA), Fargo Beez (IBA), Brooklyn Kings (USBL), Chester Jets (ENG), Adirondack Wildcats (USBL)
Spiele für Gießen: 23
Punkte: 426 (18,5 pro Partie)
Kontext: Plötzlich war alles anders in Basketball-Hessen. Nachdem Namenssponsor Avitos sein Engagement aufgegeben hatte, war die Webseite des Gießener BBL-Teams im Sommer 2003 nicht erreichbar. Wenige Monate zuvor war man im dritten Jahr der gelb-schwarzen Ära an den Playoffs gescheitert, nachdem zuvor zweimal souverän die Finalrunde erreicht werden konnte. Erst als der Herbst bereits leise an die Pforte klopfte, erstrahlte der Internetauftritt der jetzt GIESSEN 46ers heißenden Mannschaft in neuem Glanz. Im Stadttheater war kurz zuvor das neue Namenskonzept feierlich vorgestellt worden. Und auch im Kader blieb keine Stellschraube unberührt. Neuer Spielermacher wurde ein 1,77 Meter kleiner Guard aus Brooklyn, New York.Wer war Thomas? „Mookie“ hatte das Basketball-Spiel auf den Freiplätzen im Big Apple gelernt. 1997 war er von den New York Knicks an 25. Stelle gedraftet worden. Der damals 27-Jährige kam als Streetball-Legende an die Lahn. „Er hat Paul Pierce Tricks gelehrt, mit Allan Houston einen Titel gewonnen und im Bett von Jeff Van Gundy geschlafen. (…) Dennoch ist Mookie Thomas nach der Hälfte der Saison so nah am Abgrund wie kein anderer Point Guard der Liga. Schlappe vier Siege in 17 Spielen“, hieß es im Februar 2004 im Basketball-Magazin, das Thomas auf die Titelseite gebracht hatte. So wenig die mittelhessischen Fans in diesen Tag vom Erfolg verwöhnt waren, so sehr begeisterte zugleich die Spielweise des US-Boys. Thomas hatte die Möglichkeit, seinen Gegenspielern Knoten in die Beine zu dribbeln. An der Freiwurflinie war er mit 80 Prozent eine Bank. Sein Rezept? Unmittelbar vor den Würfen zupfte sich Thomas dezent im Schritt seiner XXL-Hose, die ihrerseits sein voluminöses Hinterteil zu kaschieren hatte. Ein Ritual, bei dem sich die Gießener Fans im ersten Saisonspiel vor Lachen wegschmissen. Thomas versemmelte doppelt. Im restlichen Spiel lag seine Quote bei 100% (7/7). Vier Dreier und fünf Treffer aus der Nahdistanz machten Thomas zum Topscorer. Viel wichtiger: Ausgerechnet gegen Alba Berlin durfte gleich zu Beginn der Spielzeit ein Sieg gefeiert werden. Es war seinerzeit der erste Erfolg gegen den Serienmeister nach sieben Jahren – und der letzte bis 2018!!
Wie die Saison ausging: Es folgte ein weiterer Überraschungssieg gegen Meisterschaftsanwärter Köln. Danach ging’s schneller bergab, als Donald Trump „Fake News“ sagen kann. Aus einem gesamten Bataillon an US-Legionären stach Mookie heraus. Verletzungsprobleme sorgten aber genauso für verpasste Spiele wie eine Hiobsbotschaft seiner Mutter im November. Sein Vater war überraschend verstorben. Nach der Beerdigung musste er mit verletzter Schulter von der Bank aus zusehen, wie sein Team im Abstiegskampf Niederlage um Niederlage sammelte. Im Januar kamen Dan Earl und Hall-of-Famer Gerrit Terdenge. Trotzdem war es erst die Insolvenz des Mitteldeutschen BC, der gleich zu Beginn der Off-Season den Ligaverbleib sicherstellte. Thomas ging danach noch in Finnland, Polen und seiner US-amerikanischen Heimat seinem Beruf nach. Der Mann mit dem ikonischen Stirnband hatte sich in die Herzen der Fans gespielt. Eine Leistung, die im Kontext einer solchen Gruselsaison Anerkennung abverlangt. „It’s magic – Mookie Thomas“ stand auf einem Plakat hinter den Tribünen A und B. „Mit Talent kommst du weit, aber wenn du mit deinem Herzen spielst, kommst du noch weiter“, so das Motto des Wirbelwinds, der zuletzt als National Manager der Basketball-Liga Ultimate Hoops fungierte.
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Genau das wollte ich noch mal nachprüfen, weil ich es beim nachträglichen Überfliegen selbst nicht mehr glauben konnte. Die Dinger sind meistens relativ kurzfristig entstanden, wenn der, der die meisten davon erstellt hat, mal keine Zeit hatte. Deshalb war das auch der letzte, zumindest von mir.
Sowas sollte trotzdem nicht passieren. Danke für den Hinweis.
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2003/04 war echt verdammt bitter. Ein unerfahrener Trainer aus England. Ein viel zu dünner Kader - dazu traditionell Verletzungssorgen. Und im Laufe der Saison noch Veränderungen im Management. Fast unglaublich, dass im Jahr darauf der Weg ins Halbfinale führte…
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Obwohl ich seit 1997 oder 1996 sporadisch immer mal wieder mit in die Osthalle genommen wurde, war 03/04 mein erstes “komplettes” Jahr. War es Jason Maile, dessen Name skandiert wurde, weil er auf der Bank schmorte? Und die Aktion, die Chris Finch den Job kostete?
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Ja, das war Jason Maile.Und als Sahnehäubchen auf die Seuchensaison wurde dann auch noch Frankfurt Meister…